Zweiter Brief an die Thessalonicher
Daß der Glaube nicht mein Ding ist, konnten in dieser heute jugendgemäßen Sprache bereits die Leute zu Luthers Zeiten sagen. Jedenfalls hat Luther die entsprechende Stelle im letzten der drei kurzen Kapitel bereits in der Urfassung seiner Bibel so übersetzt. Seine Version wurde durch die Jahrhunderte beibehalten und findet sich noch in meiner Lutherbibel von 1964. Erst spätere Revisionen haben nicht jedermanns Sache daraus gemacht . Der griechische Urtext hat weder das eine noch das andere, hier heißt es nur knapp "nicht aller ist pistis, wobei das Wort pistis sowohl mit Glaube als auch mit Vertrauen oder Trauen übersetzt werden kann.
Das etwas pessimistisch klingende Wort wird von Paulus nur in einem Nebensatz gesagt, die großen Themen des Briefes beschäftigen sich mit anderen Dingen. Das Pauluswort füllte sich vor einiger Zeit aber bei mir mit Leben, als ein Missionar in Afrika, mit dem ich als Kind unter einem Dach aufgewachsen war, mir in einem Brief genau diese Stelle als seinen persönlichen Eindruck von seiner Arbeit schrieb. Auch dieser Afrikamissionar war wie Paulus mit anderen, großen Themen beschäftigt. Aber wenn er inne hielt, und auf das blickte, was er bei dem größeren Teil der Bevölkerung bewirkt hatte, unter der er lebte, dann kam auch er zu dem Ergebnis, daß seine Botschaft bei weitem nicht alle Menschen erreichte.
Man muß vermutlich die Gleichgültigkeit vieler Zuhörer als eine grundsätzliche Entmutigung und Gefährdung jeder christlichen Mission in Erinnerung behalten, wenn man von den anderen Gefährdungen liest, über die Paulus im Hauptteil des Briefes schreibt. Es sind zwei: die Verfolgungen durch feindselig eingestellte Mitbürger und die Ungewißheit, wie diese Verfolgungen in den Gesamtrahmen des laufenden Prozesses einzuordnen waren, der erwartungsgemäß in Kürze auf das göttliche Endgericht zuführen würde.
Die Verfolgungen hatten sich bereits in den Tagen angekündigt, in denen Paulus zum ersten Mal in Thessalonich war. Es ist eine Kombination aus gesetzestreuen Juden (sie werden im Bercht von Apostelgeschichte 17 als neidisch beschrieben), kaisertreuen Griechen und einem leicht zu Untaten anstiftbaren städtischen Pöbel, die dem Paulus und sicherlich später in ähnlicher Zusammensetzung dann der Gemeinde Schwierigkeiten macht. Paulus ermutigt die Gemeinde zur Treue. Die Verfolgung wird am Ende erweisen, daß die Gemeinde würdig ist, zu Gott zu gehören.
Schwieriger ist es schon, die Zeichen der Zeit recht zu deuten, was die erwartete Wiederkunft Jesu betrifft. Paulus widerspricht denen, die den bereits im Alten Testament angekündigten Tag des Herrn als bereits gekommen ansehen. Noch im ersten Brief hatte er geschrieben, dieser Tage käme wie ein Dieb in der Nacht. Niemand könne das Datum vorher wissen. Nun ergänzt er ein wichtiges Detail: der Tag kann erst kommen, wenn die Ungerechtigkeit auf Erden überhand genommen hat. Paulus spricht, ohne den Begriff zu nennen, von einem Antichristen, der göttlichen Respekt verlangen und auch erhalten wird. Erst nach dessen Erscheinen wird Jesus wiederkommen und dabei diesen Widersacher besiegen.
Wer den Brief heute liest, wird angesichts der vielen Antichristen, die zwischenzeitlich gekommen und wieder gegangen sind, und angesichts der immer unübersichtlicheren Lage, was ein vorstellbares Ende der Welt betrifft, möglicherweise zu dem Urteil kommen, daß auch für ihn der Glaube nicht sein Ding ist. Vielleicht muß er zurück zu der ursprünglichen Predigt des Paulus gehen, so wie sie in Apostelgeschichte 17 geschildert wird. In deren Kern stehen die Worte Christus mußte leiden. Von der Anschauungen dieses Leidens führt ein Weg zu dem versöhnten und friedvollen Leben untereinander, das in dieser Gemeinde begonnen hat, und das Paulus mit allen seinen Kräften stärken will. Ein solches Leben könnte am Ende doch das "Ding" auch moderner Menschen werden. Man hofft es jedenfalls.
Sonntag, 6. Dezember 2009
Nicht jedermanns Ding
Samstag, 28. November 2009
Kinder des Lichts
Erster Brief an die Thessalonicher
Erholsam und erleichternd ist es, diesen Brief an die Thessalonicher zu lesen, wenn man sich zuvor mit einiger Mühe, ja sogar manchmal mit starken Qualen durch die beiden Briefe an die Korinther gearbeitet hat. In Thessalonich ist offensichtlich alles anders und besser als in Korinth.
Dabei wird zunächst einmal an vielen Stellen der Briefe die Ähnlichkeit zwischen beiden Gemeinden deutlich. Allgemein gesagt: sie sind jeweils Gemeinden zweier großer Hafenstädte, die in ihrer regionalen Bedeutung vielleicht nur von Athen übertroffen werden. Beide Gemeinden sind Gegenstand von umfänglichen Reiseplänen des Apostels Paulus, deren detaillierte Ausbreitung heute, mit einem Abstand von 2000 Jahren gelesen, auf den ersten Blick etwas müßig erscheint. Beide Gemeinden legen aber offenbar großen Wert darauf, diese Reisepläne präzise mitgeteilt zu bekommen, um sich daraus ein Bild zu machen, wie es um die Liebe des Apostels und Gemeindegründers zur alten Gemeinde bestellt ist.
In beiden Gemeinden hat sich Paulus länger aufgehalten und war damit, auch das ist Thema in den Briefen an beide Gemeinden, vor die Frage gestellt, welchen Anteil die Gemeinde an seinem Lebensunterhalt aufbringen sollte. Er hat offenbar durchgängig auf Gelder der Mitglieder verzichtet und stattdessen von seiner eigenen Arbeit gelebt. Er spricht das Thema beiden Gemeinden gegenüber im Rückblick noch einmal an, in Thessalonich entspannt, in Korinth nicht..
Der Unterschied zwischen den beiden Gemeinden ist, daß Paulus an der Gemeinde in Thessalonich so gut wie nichts auszusetzen hat. Er liebt sie, stimmt mit ihr überein und schreibt gerade so, als ob er den Thessalonichern nur noch darin helfen will, daß sie das bereits zu 98% erfüllte Soll jetzt auch vollständig erfüllen können.
Den Nachbarn der Thessalonicher, den Philippern schreibt er in ähnlicher Weise: „macht meine Freude vollkommen“, sagt er dort, verweist bei ihnen auf das viele bereits vorhandene Gute und ermutigt, nun auch noch einen letzten kleinen Schritt zu gehen. Genauso ist es in Thessalonich, dort ist so viel zu loben, daß Paulus sich darauf beziehen und sagen kann: „nehmt darin zu.“
Im Gegensatz zu Korinth ist in Thessalonich die Autorität des Paulus nie angefochten worden. Im Gegenteil: es ist hier etwas gelungen, an dem Paulus offenbar hart gearbeitet hat, und das ich beim neuen Lesen in diesen Tagen mit Überraschung entdeckt habe: die individuelle Begleitung jedes einzelnen Gemeindemitgliedes in seinem Glauben. So sagt es Kapitel 2, 11 aus.
Man ist versucht, hier ein Modewort zu gebrauchen, das die Sache aber nur teilweise treffen würde: Coaching. Paulus kann an unzählige Einzelgespräche anknüpfen, wenn er sagt: ich will demnächst zu euch kommen und „das vollenden, was an eurem Glauben mangelt“ (Kapitel 3,10).
Woran mangelt es? Paulus spricht zwei mögliche Themenbereiche kurz und ohne konkrete Kritik an, um dann aber bereits beim dritten wieder zu sagen: darüber (über die Bruderliebe) „habt ihr nicht nötig, daß man euch schreibt“ (Kapitel 4,9). Die beiden ersten Themen streifen die Reinheit in sexuellen und die Redlichkeit in geschäftlichen Dingen, Klagepunkte wie in Korinth gibt es hierzu aber nicht.
Ein viertes Thema wird dann eher vorbeugend angesprochen: die Gemeinde erlebt die ersten Todesfälle unter ihren Mitgliedern und erinnert sich möglicherweise an Jesusworte, die ihr überliefert worden waren und aus denen man schließen konnte, daß kein Christ den Tod sehen würde. Die Wiederkunft Christi wurde ja unmittelbar erwartet. Paulus stellt zugunsten der Verstorbenen klar, daß sie bei der Wiederkunft Jesu an erster Stelle, noch vor den Lebenden, ihrem Herrn entgegen gehen werden. Sie warten mit uns, man muß sich um sie keine Sorgen machen.
Am Ende sagt er zu einem weiteren Thema noch einmal: ich schreibe euch etwas, was ihr bereits wißt. Es geht um den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi, den man zwar nicht wissen kann, der aber in Anlehnung an ein möglicherweise auch in Thessalonich bekanntes Jesuswort (Lukas 12,39) kommen wird „wie ein Dieb in der Nacht“. Paulus sagt: wer wie ihr im Licht lebt, wird zu keinem Zeitpunkt von der Wiederkunft überrascht werden.
Von Glaube, Liebe und Hoffnung redet Paulus auch hier. Sie werden mit wehrhaften Kleidungsstücken gleichgesetzt, Brustpanzer (Glaube und Liebe) und Helm (Hoffnung). So gerüstet gehen die Christen durch eine für sie oft bedrohliche Welt. Schließlich werden sie zu einer langmütigen Aufmerksamkeit des einen für den anderen aufgefordert. Und dann heißt es kurz vor dem Ende des Briefes „Prüfet alles, und das Gute behaltet!“ (Kapitel 5,20). So redet man mit einer erwachsen gewordenen Gemeinde, mit Kindern des Lichts.
Mit dem geschärften Blick für die Gemeinde Korinth, den man durch Baumert gewinnt, wirkt Thessalonich auf eigenartige Weise bekannt - nun aber auf eine befreiende Art und Weise aus den Problemen herausgenommen, die Korinth plagen. Und man freut sich, daß Arbeit an einer Gemeinde, coaching, offenbar gelingen kann.
Donnerstag, 20. August 2009
Am Ende: Glück
Schluß
Wenn man Norbert Baumert bis zum Ende folgt, ergibt sich das Bild eines Apostels, der mit seiner Gemeinde ein einziges, schwerwiegendes Problem hat, und dem es am Ende gelingt, dieses Problem in Fríeden zu lösen.
Der Brief enthält harte und leidenschaftliche Worte, aber trotzdem gilt: die Gemeinde ist nicht insgesamt auf Abwege geraten, also etwa einer Irrlehre aufgesessen, sie ist auch nicht, wie man das nach den ersten Korintherbrief vermuten könnte, in viele Fraktionen gespalten und untereinander zerstritten. Sie hat sich lediglich einreden lassen, daß ihr Apostel, dieser von vielen Stürmen und Verfolgungen offenbar unansehnlich gewordene Mann, ein aus der Gnade Gottes gefallener ist, ein Verlierer.
Diese Ansicht der Gemeinde hat ihn nicht nur gekränkt, sie hat ihn auch an der Erkenntnisfähigkeit der Korinther zweifeln lassen. Die sollten nämlich wissen, daß sich der Gott, den er, Paulus, in Christi Auftrag verkündigt, nicht in sichtbarem Erfolg und in Wohlergehen erweist, sondern in einem Leben, das an Spannungen reich ist und sich ständig zwischen äußerem Mangel und innerem Überfluß hin und her bewegt.
Ein solches Leben steht in der langen jüdischen Tradition, die bei Jesaja und seinem leidenden Gottesknecht beginnt, sich fortsetzt in den ihre Armut annehmenden Gläubigen der vormessianischen Zeit, sich in Jesus schließlich in ihrer vollkommenen Gestalt zeigt und nun in der Nachfolge des Paulus weiterlebt und sich einer für die Korinther greifbaren Gegenwart entfaltet. Vielleicht ist der zweite Korintherbrief von den jungen Christen der ersten drei Jahrhunderte deshalb geschätzt und aufbewahrt worden weil er diese Tradition sehr rein bewahrt und eine ermutigende Aufforderung enthält, selbst ein Teil dieser Tradition zu werden.
Am Ende kann nämlich im Prinzip jeder Christ so leben, wie es Paulus als Vorbild vor seine Augen stellt. Es ist das Leben im Glück eines inneren Reichtums.
Ich schreibe dies mit Dank an Nurredin Öztaş, der mit seinen Beiträgen aus dem Islam diesem Blog eine etwas andere Richtung gegeben hat, der manchen Gedanken des Paulus aber nahe ist, weil er selbst ebenfalls in dem Glauben lebt, einen ganz ähnlichen inneren Reichtum finden zu können. Ich sage es mit gleichen Dank an Peter Oberschelp, der mich mit seiner Skepsis gegen solchen Reichtum immer neu dazu anstachelt, tiefer in Gedanken zu graben, wie man sie bei Paulus findet.
Peter Oberschelp hat mir zuletzt geschrieben. Du empfindest unser Alltagsleben sowohl als normal als auch im Prinzip befriedigend und hinreichend, wenn es unter dem milden Licht Gottes steht, denke ich. Und er hat diesen Empfindungen widersprochen. Vielleicht hat er Recht und unser Leben kann nicht letztlich gegen den Angriff des Unnormalen und des Unbefriedigenden verteidigt werden, das uns von allen Seiten umgibt. Aber vielleicht ist der Weg des Paulus eine der Möglichkeiten, diesen Angriff zu überstehen und sein Leben unter die Zuversicht zu stellen, mit welcher der Brief schließt.
Es heißt in den letzten Zeilen, in der Übersetzung von Baumert (13,11):
Schließlich, Brüder, freut euch; laßt euch zurechtrücken, laßt euch ermahnen; richtet euren Sinn auf die Einheit, lebt in Frieden, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein.
Der Jude Paulus denkt beim Wort Frieden sicherlich an das hebräische Schalom. Es bedeutet (wie das arabische Salam auch) Wohlstand und Frieden, fast schon so etwas wie Glück. Vielleicht steckt darin ja auch der Wunsch, daß unser Leben, um es mit Peter Oberschelps Worten zu sagen, normal wird und befriedigend und hinreichend.
Dienstag, 18. August 2009
Tränenbrief
2. Korinther 10 – 13
Die Apologie hat nichts genützt, es kommt zu einem spontanen Besuch des Apostels in Korinth. Der bringt ebenfalls keinen Erfolg, die Gegner gewinnen die Oberhand. Während des Besuchs macht Paulus in den Augen dieser Gegner den Fehler, in der öffentlichen Auseinandersetzung zu leise aufzutreten, auf einige Vorwürfe offenbar sogar ganz zu schweigen, was sie als Schwäche deuten. Paulus reist ab, kündigt eine Denkpause und einen zweiten Besuch an – und macht in den Augen der Gegner einen weiteren Fehler, indem er nicht wie angekündigt wiederkommt, sondern nur schreibt.
Er schreibt unter Tränen, wie er in Kapitel 2,4 sagt, und indem er schreibt, will er die Gemeinde schonen und diejenigen Leute mit milden Worten zurückgewinnen, deren Herzen er noch auf seiner Seite vermutet. Wenn es richtig ist, daß der Freudenbrief Kapitel 1 – 2 und 7 – 8 dann als letzter geschrieben wird, dann geht also die Strategie des Paulus auf. Aber das weiß er natürlich nicht, wenn er den Tränenbrief schreibt.
Er schreibt wie ein Verliebter, der seiner Geliebten tausendmal seine Liebe mit seinem Leben bewiesen hat, aber sie jetzt in Zweifel gestellt sieht. Wer sich so wie er verteidigt, klagt sich möglicherweise an, oder mehr noch: er muß Dinge über sich selbst aussagen, die er ohne Druck nie ausgesprochen hätte, die man als Liebender einfach nicht sagt. Auf sein Amt als Apostel übertragen heißt das: er muß den Nachweis über spirituelle Qualitäten führen, von denen die Gemeinde eigentlich durch ihre eigene Anschauung etwas wissen sollte, nicht durch das Eigenlob des Apostels.
Aber er wird mit anderen verglichen, mit angeblich besseren, erfolgreicheren Aposteln. Deshalb muß er reden, und er wählt einen Kunstgriff und hält eine Narrenrede. Nehmt mich an als einen der ohne Verstand ist, damit ich mich einmal selbst loben darf, sagt er, frei übersetzt, in Kapitel 11,16. Und dann gibt er die Zurückhaltung auf und berichtet von acht Auspeitschungen, von einer Steinigung, dreimaliger Seenot und vielen anderen Gefahren mehr. Immer wieder darauf hinweisend, wie sinnlos und närrisch sein Rühmen ist, fährt er fort, über himmlische Visionen zu sprechen, die ihm zuteil wurden, und auch über das Gegenteil: körperliche Angriffe des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt.
An dieser Stelle verläßt Baumert allerlei traditionelle Erklärungen und nimmt einfach wörtlich an: der Engel Satans, der dem Paulus als ein Dorn im Fleisch beigegeben ist (Luther sagt Pfahl im Fleisch) und ihn mit Fäusten schlägt ist der Teufel selbst, und Paulus hat also keine epileptischen Anfälle oder sinnliche Versuchungen, wie andere Ausleger angenommen haben, sondern tatsächliche blaue Flecken und ausgeschlagene Zähne - von realen Angriffen des Satans.
Bei der Stelle mit den himmlischen Visionen und dem Teufel ist Baumert erneut der tief fromme Katholik, der über eine Gotteserfahrung weiß, nur wer sich persönlich darauf eingelassen hat, und in dieser Dimension lebt, weiß von innen her, was es bedeutet. Das schließt für ihn auch die Erfahrung einer Bedrohung durch finstere Mächte mit ein.
Nirgendwo sonst gibt Paulus so viel von seinem Leben preis, nirgendwo sonst wird er so sehr ein Narr um Christi willen, wie er es in 1. Korinther 4,10 bereits als eine Art Programm verkündigt hat.
P.S. Viele haben sich später auf diese Narrenrolle bezogen und sind mutig im Glauben über die ihnen gesetzten Grenzen geschritten. Mir gefällt jener neuzeitliche Narr besonders, von dem mir ein christlicher Freund erzählte, er habe ihn in Washington getroffen, auf den Stufen des Capitols. Der Narr trug zwei Werbetafeln umgeschnallt. Auf der vorderen stand: I am a fool for Christ. (Ich bin ein Narr für Christus). Mein Freund wollte schnell weitergehen, weil ihn diese Werbung eher peinlich berührte. Da las er auch die zweite Tafel auf dem Rücken des Mannes und erschrak: Whose fool are you? (Wessen Narr bist du?)
Montag, 17. August 2009
Eine Kollekte für die Juden?
Exkurs zu Kapitel 8 und 9
Unter den mancherlei Überraschungen, die in den Auslegungen von Baumert stecken, hat mich diese am meisten erstaunt: die Kollekte für die Heiligen in Jerusalem ist seiner Meinung nach nicht, wie traditionell angenommen wird, für die (christliche) Urgemeinde dort bestimmt, sondern für die (jüdische) Tempelgemeinde. Auch Baumert ist offenbar über die Entwicklung in der Neuauslegung der Paulusbriefe selbst verwundert und schildert, wie in einem Seminar eine junge Frau namens Maria-Irma Seewann „zum Erstaunen aller“ aufsteht und ihre These vorträgt, die Empfänger der in verschiedenen Briefen und in der Apostelgeschichte Sammlung seien die Jerusalemer Juden ganz allgemein gewesen, nicht die Judenchristen.
Liest man die Beweisführung, dann kommt man kaum umhin, ihr Schritt für Schritt zu folgen. Man fragt sich nur, warum die Theorie von Frau Seewann nicht schon länger in der Welt ist.
Hier einige von ihren Argumenten. Im Galaterbrief wird die Aufgabenteilung zwischen den Heidenmissionaren und den Judenmissionaren nacherzählt, das ging, sagt Paulus, ohne Probleme ab, per Handschlag und nur unter der einen Bedingung: die Heidenmissionare sollten der Armen gedenken (Galater 2,10). Dies Gedenken war zunächst offenbar eine Tradition unter den außerhalb Jerusalems lebenden Juden aber auch unter denen, die sich dem jüdischen Glauben angenähert oder sich ihm angeschlossen hatten. Man könnte sagen: es war eine Art Tempelsteuer.
Diese Abgabe – so Seewann – wurde auch unter den ersten Christen beibehalten. Es wurde damit dokumentiert, daß man aus dem Judentum hervorgegangen war und sich weiter zu ihm gehörig fühlte. Die ersten Christen waren ja täglich einmütig beieinander im Tempel (Apostelgeschichte 2,46), es war also natürlich, diesem Tempel auch weiterhin das zukommen zu lassen, was ihm gebührte.
In dieser Tradition steht weiterhin auch Paulus, wenn er nach seiner Verhaftung (während der Reise zur Überbringung der Spende) in Jerusalem im Verhör durch die Römer sagt, Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. (Apostelgeschichte 24,17)
Wenn er beides – das Überbringen der Almosen (die er zuvor in Rom, Korinth, Philippi und anderswo gesammelt hat) und das Opfern als Akte versteht, die im Tempel und für den Tempel zu vollziehen waren (was beim Opfer ja auch nur im Tempel möglich war), dann macht die Theorie von Seewann auch hier Sinn.
Auch eine dritte Stelle stützt diese neue Sichtweise: im Römerbrief gesteht Paulus, daß er in Sorge ist, die Ungehorsamen in Judäa könnten ihm übel wollen und daß er sich sehr wünscht, daß sein Dienst für Jerusalem den Heiligen angenehm sei. (beides Römer 15,31) Die gängige Theorie geht von einem Konflikt mit der christlichen Gemeinde dort aus und nimmt an, die Jerusalemer Christen hätten unter Umständen nicht einmal seine für sie gesammelte Kollekte annehmen wollen.
Es ist aber kein Grund vorstellbar, warum ein innerchristlicher Dissens solche gravierenden Folgen haben könnte. Dagegen ist klar: wenn die jüdischen Autoritäten von den Gemeinden des Paulus eine Art Tempelsteuer akzeptieren, dann erkennen sie damit deren Zugehörigkeit zum Judentum an. Die Juden hatten aber gemeinsam mit den Ungehorsamen in Judäa an vielen Orten damit begonnen, gegen Paulus zu agitieren. Die Akzeptanz der Armenspende mußte deshalb als fraglich angesehen werden.
Wenn Seewann Recht hat, dann haben die Brücken zum Judentum länger Bestand gehabt, als das bislang angenommen wurde – und es wäre heute leichter, noch einmal an sie anzuknüpfen. Deshalb sage ich offen: mir gefällt diese Auslegung!
Sonntag, 16. August 2009
Reichtum der Einfachheit
2. Korinther 8,1 – 9,15
Paulus bittet in diesem Briefabschnitt um eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem. Der Kern seiner Worte ist aber nicht das Geld. Es ist das, was gleich zu Beginn über das Vorbild gesagt wird, das eine andere Gemeinde, möglicherweise Philippi, den Korinthern gegeben hat. Baumert übersetzt das Attribut, welches Paulus für diese Gemeinde findet, mit Einfachheit. Und Paulus wünscht nun also auch den Korinthern Einfachheit. Das ist nicht die Freigebigkeit der Elberfelder Übersetzung, die hier allzu sehr einen Zweck in der Einfachheit nahelegt, nämlich aus einfachem Herzen froh zu geben. Näher an Einfachheit ist Luther, der Einfalt an dieser Stelle wählt, wobei dieses Wort nun allerdings ja einen Bedeutungswandel durchgemacht hat, der den ursprünglichen Luther-Sinn überdeckt.
Baumert frischt mit Einfachheit diesen Sinn wieder auf. Es ist ein Charakterzug der in einem Prozeß gewonnen wird, der auch hier eine Metamorphose im Sinne des leidenden Gottesknechtes aus Jesaja ist, aus dessen Wunden Heilung entsteht. Über die Vorbild-Gemeinde wird in der Übersetzung Baumerts gesagt, es ist ihre abgrundtiefe Armut angewachsen bis zu dem Reichtum ihrer Einfachheit (8,2). Armut hat Reichtum aus sich hervorgebracht. Meine interlineare griechisch-deutsche Bibel benutzt hier statt angewachsen das Wort übergeströmt, das macht die Verwandlung von Armut in Reichtum noch bildhafter.
Welcher Art ist dieser Reichtum? Es lohnt sich, hier dem griechischen Wort für Einfachheit haplotes nachzugehen. Es wird an den sieben Stellen, an denen es im Neuen Testament vorkommt, von Luther entweder mit Einfalt (sechsmal) oder mit Lauterkeit (einmal) übersetzt – die Knechte sollen in Einfalt ihren Herren dienen (Epheser 6,5), also redlich und lauter, und die Geldgeber sollen ebenfalls in Lauterkeit und ohne Hintergedanken spenden (Römer 12,8). Auch bei Jesus findet sich das Wort haplous in der Aussage der Bergpredigt über das Auge als Licht des Leibes, das lauter und klar sein soll, nicht böse und dunkel (Matthäus 6,22).
Es ist also das Ziel eines christlichen Lebens, in diese Verwandlung hineingenommen zu werden: in ärmlichen äußeren Umständen entsteht ein innerer Reichtum an Einfachheit und Lauterkeit. Paulus schreibt, daß dies eine charis ist, ein Geschenk Gottes, eine Gnadengabe.
Man kann mit moderner Skepsis den Sinn der Kapitel 8 und 9 zu einer einfachen „Kollektenpredigt“ herunterdrehen und alles das klein machen, was der Apostel um das Geben herum und zur tieferen Begründung des Gebens sagt. Gerade ältere Christen mit einer längeren Lebenserfahrung hören gerne das materielle Interesse hinter frommen Worten heraus.
Gegen diese kommerzielle Deutung spricht aber das Umfeld des Briefes, in dem sich ja eine ungemein zarte Annäherung des Paulus an seine Gemeinde vollzieht, die zuvor im Streit mit ihm gelegen hatte, in Teilen zumindest, und die er nur mit großer Mühe zurückzugewinnen konnte. In dieser immer noch sensiblen Situation kann er mit ihnen nur über eine Kollekte reden, wenn er um den tieferen Sinn einer solchen Liebesgabe weiß. Und der ist mit dem Gewinn eines Reichtums der Einfachheit wunderbar beschrieben.
Donnerstag, 13. August 2009
Wem gehört die Welt?
Ein Exkurs in den Koran
Im Glauben der Moslems enthält der Koran die heiligen Bücher der Juden und Christen ebenfalls in sich, das Alte und das Neue Testament. An einer Stelle im Koran wird die Verbindung sogar zu einem wörtlichen Zitat, indem hier - als einzigem Vers im Koran - auf ein Wort aus dem Alten Testament Bezug genommen wird. Es wird auch gesagt, in welchem Bibelbuch es steht:
Und wahrlich, wir schrieben in den Psalmen nach der Offenbarung der Ermahnung: „Erben sollen die Erde meine gerechten Diener“. (21. Sure "Die Propheten", Vers 105 )
Dieses Wort ist aus Psalm 37,29 übernommen und bildet nicht nur eine Brücke zum Koran, sondern auch zum Neuen Testament. Dort wird Psalm 37 nämlich ebenfalls zitiert, an prominenter Stelle sogar, und fast dasselbe Wort. Es ist die dritte der berühmten acht Seligpreisungen:
Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. (Matthäus 5, 5)
Ein Unterschied ist vorhanden, verliert aber an Gewicht, wenn man bedenkt, daß im ursprünglichen Psalm 37 insgesamt fünfmal davon die Rede ist, wer das Land erben wird:
Die Bösen werden ausgerottet; die aber auf JHWH harren, werden das Land erben. (Vers 9)
Die Sanftmütigen werden das Land erben und ihre Lust haben an Fülle von Heil. (Vers 11)
Die von ihm Gesegneten werden das Land erben; und die er verflucht, werden ausgerottet. (Vers 22)
Die Gerechten werden das Land ererben und für immer darin wohnen. (Vers 29)
Harre auf JHWH und halte dich auf seinem Weg, so wird er dich erhöhen, daß du das Land erbest. (Vers 34)
Das Neue Testament und der Koran beziehen sich also auf denselben Psalm, dort aber auf Vers 29 (Koran) oder auf Vers 11 (Neues Testament). Die Aussage der beiden Sätze ist nur in Bezug auf das Erben identisch, nicht auf den Personenkreis, der erbt.
Nach meiner bisherigen Erfahrung mit dem Lesen des Korans geschieht in dem leicht verändernden Übergang vom Neuen Testament zum Koran etwas, was den Glauben der Moslems an eine einheitliche Überlieferung ein wenig einschränkt. Es ist gerade so, als ob der Koran die Pointe der neutestamentlichen Aussage zu Gunsten einer allgemeineren Lehre wieder teilweise zurücknehmen will. Diese Lehre ist im Neuen Testament dialektisch und paßt allein deshalb schon nicht in das Gedankengebäude des Korans.
Sie läßt sich in etwa so formulieren: es hat in der Geschichte des Glaubens an den Einen Gott einen Umbruch gegeben, in dem die alte Vorstellung von einem durch die richtige Gottesverehrung herbeigeführten materiellen Wohlstand aufgegeben wurde. Die Juden haben in den Jahrhunderten zwischen dem babylonischen Exil (587 – nach 538 v. Chr.) und der Geburt Jesu eine lange Phase der Fremdherrschaft durchlitten, in der sie alle alten Gedanken an eine über die Grenzen des eigenen Volkes hinausgehende Herrschaft ihres Gottes aufgeben mußten. In dieser Zeit ist die Vorstellung gewachsen, daß Gott im Gegenteil aus der Armut heraus am besten zu verehren ist, ja daß er auf geheimnisvolle Weise allen den Menschen besonders nahe ist, welche diese Armut als einen Ort annehmen, an dem Gott sich und sein Heil den Menschen zeigt.
Als Jesus zur Welt kam, war diese Kultur der Armut und damit gleichbedeutend die Kultur der Sanftmütigkeit in weiten Teilen des jüdischen Volkes verbreitet (der Papst schreibt in seinem Jesus-Buch sehr anrührend darüber). Die Menschen, die Jesus als Gottesgesandten erkannten und ihm den Weg bereiteten, waren solche armen und sanftmütigen Leute, und ihnen wandte er sich in seiner Predigt zu. Er versprach ihnen in der erwähnten dritten Seligpreisung nicht weniger als den Besitz der gesamten Erde.
Damals wie heute ist der Vorwurf naheliegend, daß er damit zu viel versprochen hat, weshalb es auch aus der Sicht des Korans sicherlich vernünftig war, die Zusage des Landbesitzes allgemeiner zu formulieren und erneut - so wie es früher einmal war - an die Gerechtigkeit des Einzelnen zu binden.
Verloren gegangen ist dabei allerdings ein Geheimnis. Es besteht in der Verwandlung von freiwillig ertragener Armut und selbstlos übernommenem Leid in eine Quelle des Heils für andere Menschen und für die ganze Welt. Wer dieses Heil hat und es weitergeben kann, der ist der wahre Besitzer der Erde, der Erbe des Landes.
Für diese Verwandlung von Leid in Heil steht das Leben des Apostels Paulus. Es ist ein Leben aus dem Alten und Neuen Testament zugleich, es steht in der Tradition des leidenden, sanftmütigen Gottesknechtes im Propheten Jesaja und in der Tradition des Gottesknechtes Jesus. Auch der Koran kennt ohne Zweifel Wege zum Heil. Aber in diesem Punkt unterscheiden sie sich von denen der Bibel.
Mittwoch, 12. August 2009
Die Einheit der Verteidigungsrede
2. Korinther 2,14 - 7,3
Norbert Baumert hat für seine These, daß es sich bei der Verteidigungsrede 2,14 – 7,3 um einen einheitlichen, für sich stehenden Brief handelt, verschiedene Argumente. Dazu gehört auch sein Nachweis der Geschlossenheit in Bezug auf die Gliederung, für welche er die Form A - B - A erkennt, mit einem Hauptteil B in der Mitte, sowie einem jeweils das konkrete Problem ansprechenden Anfang A 1 und einem ebenso konkret auf das Thema zurückkehrenden Schluß A 2.
Bereits in seinem Kommentar zum 1. Korintherbrief hat Baumert gezeigt, daß Paulus gern in dieser Form argumentiert und dabei die konkrete Lebensfrage der Gemeinde (A) selbst dann nicht aus dem Auge verliert, wenn er im Hauptteil (B) seiner Argumentation große und letzte Dinge anspricht. Das ist im sogenannten Hohelied der Liebe in 1. Korinther 13 der Fall, welches vom 12. und 14. Kapitel so eingerahmt wird, daß die Fragestellung nie ganz aus den Augen verloren wird, die Baumert ein wenig in der Sprache einer Art Kirchenverwaltung Integration auffallender Geistwirkungen im Gottesdienst nennt.
Ähnlich ist es mit dem Teil B unserer Verteidigungsrede, den Kapiteln 4 und 5 des 2. Korintherbriefes (genau: 4,7 - 5,11), in denen Paulus auf den Kern seiner Verteidigung zu sprechen kommt. Die Korinther haben kritisiert, daß auf seiner Arbeit wenig Glanz liegt, das hat er in Abschnitt A widerlegt und steigert seine Verteidigung in B jetzt zu dem zentralen Punkt, an dem er sagt: der Glanz von Gottes Herrlichkeit wird durch ein Sterben hindurch offenbart. Es folgen bekannte Worte von äußerem und innerem Mensch (4,16) und von der Überkleidung eines irdischen Wesens mit einem himmlischen (5,2 - 4). In der Gleichzeitigkeit von Sterben und neuem Leben, das er aus sich hervorgehen sieht, liegt das Wunder, das Christus an Paulus tut und das ihn damit eindeutig als seinen Diener erweist.
Deshalb braucht er keine Bestätigungen oder Empfehlungen von dritter Seite - ein Thema, das jeweils am Anfang des Teils A 1 (3,1) und des Teils A 2 (5, 12) steht, was die Symmetrie A - B - A der Verteidigungsrede unterstreicht.
Baumert nennt diese bei Paulus häufiger vorkommende A-B-A-Struktur Palindrom. Wörtlich heißt das "wieder zurücklaufend" und ist für die Zuhörer sicherlich immer dann eindrucksvoll, wenn der Redner nach einer Eingangsfrage mit Schilderung des Problems (A) und den folgenden grundsätzlichen Erwägungen (B) wieder auf die Eingangsfrage zurück "läuft" (A) und jetzt praktische Ratschläge für die Behandlung dieser Frage gibt. Wichtig ist, daß auf diesem Weg die oft sehr tiefen und grundsätzlichen Einsichten aus Teil B nicht in reine Philosophie aufgelöst werden, sondern an das konkrete Problem angebunden bleiben - nach vorne wie nach hinten.
In unserem Abschnitt gipfelt Teil B in der überzeugenden Bewährung des Paulus, die sich (6,1 - 10) in kräftigen Gegensatzpaaren zeigt wie etwa: sterbende - und siehe wir leben, arme - aber viele reich machend. Wer das am Leben des Paulus studiert, der wird sich von den Kritikern des Paulus nicht irre machen lassen, sondern im Gegenteil ein solches, die anderen beschenkendes Leben selbst anstreben.
Liest man das alles mit dem Blick auf die leider notwendig gewordene Verteidigung, die dem Paulus durch seine Gegner aufgezwungen wird, dann werden allerdings einige sehr berühmte Aussagen aus diesem Abschnitt zunächst scheinbar klein und ohne direkten Bezug auf die Erklärung anderer theologischer Fragen, die man normalerweise mit ihnen verbindet. Ich denke an das Wort von der neuen Kreatur (5, 17), dem Schatz in irdenen Gefäßen (4, 7), dem Bild von der irdischen Hütte (5,1), das vielen aus der Übersetzung Martin Luthers lieb geworden ist. Baumert läßt es nicht mehr gelten, weil er nicht mehr von Hütte sondern von einer Zeltwohnung spricht, die eher wie ein Kleid zu verstehen ist, das man unter einem anderen, besseren immer noch zu tragen verpflichtet ist.
Ich meine aber, daß die im Gegenzug gewonnene größere Geschlossenheit diese Engführung der großen Worte auf eine zunächst kleiner erscheinende Ebene aufwiegt. Man kann am Ende - ganz ähnlich wie beim großen Kapitel 1. Korinther 13 - auch hier die alten, lieb gewordenen Worte wieder auf jede denkbare Lebens- und Weltsituation anwenden. Vielleicht sind sie sogar stärker, wenn man um ihre Heimat in der persönlichen Erfahrung des Apostels und seiner Gemeinde weiß. Vielleicht gewinnen sie an Kraft und Wirkung, wenn man mit der Situation des Paulus sozusagen ihr Wurzelgeflecht kennen lernt.
Mit den ersten Versen des siebten Kapitels schließt sich ein fester Kreis. Ein neuer beginnt: die Fortsetzung des Freudenbriefes und die heikle aber souverän vorgetragene Bitte um eine Spende. Sie soll der Gemeinde in Jerusalem zugute kommen.
Sonntag, 9. August 2009
Eine weitere Frage von Herrn Öztaş
Paulus und der Polytheismus
Hier ist eine weitere eMail von Nureddin Öztaş
Ich ziehe Parallelen zu den "Aposteln" von Mohammed (SAV). Du sagst, die 12 Jünger waren eher ungebildete Menschen, die Jünger Mohammeds waren es auch. Mohammed selbst war ein Analphabet. Man müsste mal untersuchen, ob es bei anderen Propheten ähnlich war, ob die ersten Jünger also auch eher einfache Leute waren. Das wäre meiner Meinung nach kein Zufall. Wir Muslime sprechen von Ummi, es bedeutet auf der einen Seite ungebildet, auf er anderen Seite aber auch unbefleckt, unbefleckt mit anderen Religion und Ideologien.
Deine Ausführungen zu Paulus sind sehr interessant. Er ist kein Ummi, eher ein Mensch zwischen zwei Kulturen. Ist er auch ein Mensch, der Elemente der römischen polytheistischen Religion in die reinen, monotheistischen Religion von Jesus (AS) eingebracht hat?
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, hat er fremde Elemente in seine Lehre aufgenommen und diese statt der Lehre Jesu (AS) verbreitet. Darf ein Apostel seinen göttlichen Auftrag, wenn er überhaupt einen hatte, verändern und solche fremden Elemente einfügen?
Ich weiß aus einem früheren Gedankenaustausch mit Nureddin Öztas, daß sich der frühe Islam auch als einer Reformbewegung gegen den Polytheismus versteht, der im römischen Reich herrschte. Dabei wird das römische Reich zunächst in seinem polytheistischen Ursprung, dann aber auch in seiner Durchmischung mit dem Christentum gesehen. Nach moslemischem Verständnis steht das Christentum unter dem Verdacht, allzu bereitwillig Gedanken der Römer in den eigenen Glauben aufgenommen zu haben, als der christliche Glaube am Ende den Glauben der Römer überwandt und zur Staatsrelegion aufstiegen. Der römische Bürger Paulus steht bei den Moslems in vorderster Linie der Verdächtigen, die an dieser Vermischung mitgewirkt haben.
Bevor ich eine vorschnelle Antwort gebe, will ich das zusammentragen, was auch von christlicher Seite für diese These sprechen könnte. Paulus hat in seiner berühmten Rede auf dem Areopag in Athen (Apostelgeschichte 17) einen der vielen Götter Griechenlands herausgegriffen und den Griechen nahe gelegt, sie hätten in der Verehrung dieses Gottes bereits damit begonnen, den Gott anzubeten, den Paulus jetzt im Begriff war zu verkündigen. Diese Rede wird ihm bis heute auch von manchen Christen als ein wenig zu liberal ausgelegt.
Außerdem hat er an einer anderen Stelle gesagt, er sei jederzeit bereit gewesen, um des Evangeliums willen, den Juden ein Jude, [...] den Schwachen ein Schwacher (1. Korinther 9,20 + 22) und ein Schuldner der Griechen und der Nichtgriechen (Römer 1,14) zu sein. Auch das macht ihn verdächtig, gelegentlich allzu nachgiebig aufgetreten zu sein.
Nun muß man aber auf der anderen Seite sagen, daß der Vorwurf der allzu großen Liberalität in keiner Weise auf das gesamte Lebenswerk des Paulus zutrifft. Im Gegenteil , viele Christen stoßen sich bis heute an seinem scharfen Urteil über ethische Dinge, seine Ablehnung der Homosexualität etwa, oder auch seine für manche Christen als viel zu konservativ verstandene Deutung der Rolle der Frau.
Wie immer man ihn sieht, Paulus ist über weite Strecken seines Lebens ein brennender Eiferer für seinen Glauben gewesen, am Anfang ja sogar mit einem tödlichen Hass auf die neue Gemeinde der Christen. Er war ein in strengem Judentum erzogener Gelehrter. Von seinem Vater hatte es übernommen, nach den strengen Regeln der Pharisäer zu leben, später wurde er von den vornehmsten Priestern im Tempel in Jerusalem erzogen. Auch seinen späteren Konflikt mit den Korinthern, um den es in Baumerts Buch geht, übersteht er am Ende als Gewinner, weil er so unbeugsam ist.
Er war von seiner ganzen Person her nicht der Mensch, den Römern auch nur einen Zentimeter nachzugeben, wenn es um seinen Glauben ging. Dieser Glaube bezog sich von Geburt an auf einen und nur einen Gott.
Nach meinem Eindruck ist das, was die Moslems als Polytheismus verstehen, nicht erst durch Paulus ein Teil der christlichen Lehre geworden, sondern bereits in der Person Jesu selbst und in dem Anspruch, der von seiner Person ausging. Ich will es so sagen, daß es vielleicht auch für einen Moslem nicht sofort anstößig ist: Jesus ist mit einer Botschaft durch Galiläa gezogen, die nach seinen Worten unmittelbar von Gott stammte, ja die seine Zuhörer in die Lage versetzte, Gott wie in einem Spiegel zu sehen.
Ich schrieb schon, daß dies in Mose vorgezeichnet war, der am Sinai Gott sehr nahe gekommen war. Jesus war der - bereits von Moses vorhergesagte - Prophet eines neuen Bundesvertrages zwischen Gott und Menschen. Er sollte Gott, anders als Mose das konnte, unverhüllt sehen, und er sollte Gottes Barmherzigkeit darin zeigen, daß Gott sich ganz persönlich und konkret den Menschen zuwendete. Deshalb konnte er von sich sagen, wer mich sieht, sieht den Vater (Johannes 14,9).
Übrigens ist er auch deshalb gekreuzigt worden, weil er diesen hohen Anspruch gepredigt hat. Er ist für seine Kritiker zu weit über den Rahmen dessen hinausgegangen, was ein Prophet normalerweise verkündigen darf.
Ich vermute aber gleichzeitig , daß die Christen immer an einen Gott geglaubt haben, der größer und auch unvorstellbarer ist als sein letztlich doch kleines weil menschliches Abbild in Jesus von Nazareth. Das erste Konzil hat sich große Mühe gegeben, die teils menschliche, teils göttliche Natur Jesu zu definieren. Einen Polytheismus in römischer Form hat dabei nie jemand gewollt.
Ich und der Vater sind eins, sagt Jesus (Johannes 10,30), das ist die feste Grundlage unseres christlichen Monotheismus.
Samstag, 8. August 2009
Geliebte Welt, versöhnte Welt?
2. Korinther 5, 18 - 21
Im fünften Kapitel des Korintherbriefes steckt eine auslegerische Schwierigkeit, über die es unter den Christen viele Kontroversen gegeben hat. Paulus schreibt hier, daß Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat (durch Christus) und nun durch den Apostel Paulus und andere Boten sagen läßt: laßt euch versöhnen mit Gott. Viele haben sich daran gestoßen, daß etwas bereits Geschehenes - die Versöhnung der Welt - in einem zweiten Akt noch einmal wiederholt werden soll, indem jetzt also einzelne Menschen sich erneut versöhnen lassen . Wie paßt das zusammen?
Moderne Ausleger, denen der Gedanke an ein Jenseits und ein ewiges Gericht relativ fremd war, haben hier oft eine Allversöhnungslehre angenommen und der Welt zugestanden, daß sie bereits mit allen Rechten versöhnt, also aus jeder Art von Gericht herausgenommen ist. Die Welt hat diese Botschaft nur noch nicht richtig vernommen und muß jetzt aufgefordert werden, das Werk der Versöhnung zu begreifen und für sich anzunehmen. Dies wäre zwar nicht der Weg zu ihrem Heil, denn das ist ja bereits garantiert, aber doch zumindest zu ihrem Glück.
Baumert ist mit dieser Deutung nicht einverstanden. Er weist auf einen anderen großen Vers der Bibel hin, in welcher ebenfalls von Gottes Zuwendung zur Welt gesprochen wird, Johannes 3,16. Hier wie im Korintherbrief steht im Original das Wort kosmos für Welt. In den Worten Luthers, der diese Stelle als das Evangelium im Evangelium bezeichnet, also als Kernaussage des Neuen Testament angesehen hat, lautet der Vers:
Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
In dieser Aussage ist die Zuwendung Gottes zur Welt, seine Liebe, nicht gleichbedeutend mit einem vollständigen Erlösungwerk. Die Liebe Gottes wartet ja auf die Antwort des Menschen, er soll an Jesus glauben. Ebenso ist laut Baumert auch das Werk der Versöhnung im Korintherbrief ein Angebot Gottes, auf das der Mensch noch eine Antwort finden muß, eben indem er sich versöhnen lässt. Ohne diese Antwort bleibt er unversöhnt.
Das Problem mit der Stelle im Korintherbrief ist allerdings, daß die Versöhnung dort nun tatsächlich als ein bereits geschehener Akt dargestellt wird. Er müßte, so die Meinung vieler Ausleger, entsprechend auch ohne die Einwilligung des Menschen wirksam sein.
Baumert weist hier allerdings darauf hin, daß das Wort kosmos im Korintherbrief ohne den bestimmten Artikel steht. Es steht hier nur "Welt" nicht "die Welt". Anders als im Johannes-Evangelium, wo Gott ton kosmon, die Welt, liebt, steht in 2. Korinther 5,19, daß Gott in Christus kosmon katalasson, Welt versöhnend war, ohne Artikel.
Baumert legt diesen Abschnitt nun so aus, daß Gott beispielhaft an einem weltlichen Menschen aufgezeigt hat (und zwar in der Bekehrung des Paulus, sozusagen als einem Stück Welt ), daß er ein Versöhnungswerk begonnen hat. Auf dieses muß der Mensch aber noch in voller eigener Freiheit antworten.
Mit dieser Deutung stimmen die Proportionen wieder. Die Welt ist geliebt, der Welt wird Versöhnung angeboten. Aber sie muß die ausgestreckte Hand Gottes mit der eigenen Hand ergreifen und die Versöhnung auch von sich aus gültig machen.
Ich finde es bemerkenswert, daß man an einem einzigen kleinen Wort, hier also dem bestimmten Artikel, so viel Sinn festmachen kann. Unsere Sprache ist reich.
Donnerstag, 6. August 2009
Zukunft schon in der Gegenwart
2. Korinther 4, 17 + 18
Vielleicht ist Norbert Baumert an den Stellen seines Buches für die Leser am überraschendsten, wo er biblische Verheißungen auf die himmlische Zukunft Gottes bereits in der irdischen Gegenwart erfüllt sieht. Die Überraschung weicht sicherlich bei vielen Lesern einer gewissen Skepsis, weil es zu fremd erscheint, daß eine traditionelle eschatologische Auslegung, also die Deutung auf ein zukünftiges Heil Gottes hin, plötzlich auf die Gegenwart bezogen wird.
Am prägnantesten tritt diese Auslegung im Buch zum ersten Korinthbrief in Erscheinung, und zwar in der Auslegung zum Abendmahl. Hier deutet Baumert die in den Kirchen an vielen Sonntagen gelesenen Worte von der Verkündigung des Todes Christi bis daß er kommt (1. Korinther 11,26) nicht auf sein Kommen am Ende der Zeiten, sondern auf das reale Erscheinen des gekreuzigten und auferstandenen Herrn bereits im Verlauf des Gottesdienstes.
Natürlich ist Baumert hier der ganz von der charismatischen Bewegung und ihren spirituellen Erfahrungen geprägte Gläubige. Ein kritischer Leser, der mit den Auswirkungen einer solchen, eher mystischen Geisterfahrung nicht vertraut ist, wird Baumert hier nicht immer folgen. Und trotzdem - seine Deutung des Textes ist gerade an dieser Stelle in sich logisch und fügt sich beim weiteren Lesen nach und nach in einen größeren Zusammenhang ein, der sich erschließt, wenn man Baumert mit ein wenig Vertrauen über die weiteren Kapitel folgt.
Auch in der Fortsetzung seiner Verteidigungsrede, der Apologie, spricht der Apostel nach Ansicht von Baumert von diesseitigen Erfahrungen der Herrlichkeit Gottes, die nach traditionellem Verständnis meist auf das jenseitige Ende der Zeiten hin, also auf die zukünftige Herrlichkeit gedeutet werden. Nach diesem, also dem traditionellen Verständnis von 2. Korinther 4,17 werden die (kurzen) Leiden der Gegenwart aufgewogen durch die (ewigen) Freuden des Himmels.
Dagegen versteht Baumert die Apologie des Paulus so, daß in seinem Leiden und Bedrängnissen gleichzeitig die Herrlichkeit Gottes aufleuchtet. Ihr Licht erscheint zwar sozusagen nur im Inneren des Leidenden, sie ist aber vollkommene und tröstliche Realität, und sie ist auch für diejenigen im Umkreis des Paulus zu sehen, denen der Geist Gottes einen Blick für das Göttliche gegeben hat.
Folgt man Baumert in diesem Punkt, dann ergibt sich das große Bild des Menschen Paulus, der inmitten seiner Leiden und Demütigungen einen Lichtschein der Herrlichkeit Gottes aufleuchten läßt, gerade so wie der leidende Gottesknecht aus Jesaja, über den es in Jesaja 53,10 heißt
Was JHWH gefällt, wird durch seine Hand gelingen.
Dieses Gelingen des Paulus bestreiten einige der Korinther und sehen statt dessen sein Scheitern. Aber er weist ihnen in der Apologie nach, daß sie nur einen Teil der Wirklichkeit sehen.
Mittwoch, 5. August 2009
Eine Anfrage von Herrn Öztaş
Mein Freund Nureddin Öztaş liest ebenfalls diesen Blog. Zusammen haben wir den Koran gelesen, und er hat meine dabei entstandenen Blogeinträge klug und geduldig kommentiert. Nun liest er auch das, was ich über Norbert Baumert und Paulus schreibe.
Er schreibt:
Für mich bleiben die 12 Apostel Jesu (AS) zu sehr im Dunkeln. Sie treten im Christentum nicht so in Erscheinung wie Paulus, der Jesus (AS) niemals gesehen hat. Sollten aber nicht genau sie als Zeitzeugen und dadurch stärkere Boten viel mehr in Erscheinung treten als Paulus, der anfänglich sogar Urchristen verfolgt hat?
Ich weiss, daß Paulus wie kein zweiter die christlich-abendländische Tradition prägt. Aber ich traue meinem "Landsmann" nicht so wie den richtigen Aposteln. Was ist aus ihnen geworden, wo und wie haben sie gewirkt? Von wem wurden sie verfolgt? Ist ihre Botschaft mit der Botschaft des Paulus identisch? Sind die neutestamentalischen Bücher von Markus und Lukas die Schriften der gleichnamigen Apostel? Wieso steht so wenig darüber, wieso interessiert es die Christen nicht mindestens genau so viel wie Paulus?
Meine Antwort: Wenn ich es richtig sehe, gibt es drei Gründe für die Vorrangstellung des Paulus.
Zum einen ist das seine Position auf der Grenzlinie zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen, Du deutest das ja bereits an. Man kann das Christentum als eine international gewordene Version des Judentums verstehen, gerade so, als ob – weltlich gesagt – sich eine alte, regionale Firma nach langer Zeit dazu entschließt, ihre Produkte nun auch zu exportieren und nach und nach zu einem Weltkonzern zu werden. Diese Entwicklung in die ganze Welt hinein war von den Propheten Israels seit längerer Zeit vorhergesehen worden, in der Realität hatten die jüdischen Führer aber wohl immer wieder gezögert, fremde Menschen und damit auch fremde Elemente in ihr Volk und in ihre Religion aufzunehmen.
Mit dem Erscheinen von Jesus wurden diese Barrieren aufgehoben, wenn auch zunächst immer noch langsam und in vielen kleinen, manchmal schmerzlichen Schritten, über welche das Neue Testament recht offen berichtet.
Paulus nun wird zum wichtigsten Bürgen und Propagandisten dafür, daß es der Wille Gottes ist, den Glauben an ihn, also an JHWH, an den Gott Abrahams, an den Gott, der (wie wir Christen glauben) Jesus von den Toten auferweckt hat, der ganzen Welt anzubieten.
Als zweites: Paulus war in der Führungselite der Christen, die hauptsächlich aus den zwölf eigentlichen Aposteln bestand, möglicherweise der einzige mit einer höheren Bildung. Das befähigte ihn zum Beispiel, vor den Philosophen auf einem öffentlichen Platz in der Weltstadt Athen zu sprechen (im neutestamentlichen Buch der Apostelgeschichte nachzulesen, Kapitel 17). Er konnte mit hochstehenden Personen diskutieren, und er konnte seine Punkte auch schriftlich darlegen. Dabei kam seiner langfristigen Wirkung zugute, daß er auf Grund seiner vielen Reisen nur über seine vielen Briefe den Kontakt zu einzelnen Christen halten konnte, so daß von ihm sehr bald eine Reihe von schriftlichen Äußerungen in Umlauf geriet. Die anderen Jünger dagegen blieben ortsansässig, weshalb sie vermutlich wenig oder gar nichts schrieben oder schreiben ließen.
Die vier Evangelien sind bis auf Johannes nicht von Jüngern geschrieben, und bei Johannes ist die Jüngerschaft nicht einmal sicher. Lukas ist ein Reisebegleiter des Paulus und selbst einer der wichtigsten Autoren, die die Geltung des Paulus begründen. Insgesamt bereiten die Evangelien eher auf die Lektüre der Paulus-Briefe vor als daß sie eine Konkurrenz dazu wären.
Etwas Drittes habe ich eigentlich erst in der Beschäftigung mit Norbert Baumert entdeckt und auch bereits damit begonnen, im Blog darüber zu schreiben. Paulus wiederholt in seiner eigenen Person das alte Motiv des Propheten Jesaja, das Motiv vom leidenden Knecht Gottes. Das stellt ihn in nahe Beziehung zu dem eigentlichen Knecht Gottes, Jesus, und macht Paulus einzigartig.
Der Grundgedanke dieser besonderen Knechtschaft ist, daß jemand stellvertretend für andere Menschen Leid auf sich nimmt. Wenn Dir das fremd vorkommt, dann sieh auf Dich selbst. Auch Dein Leben, das ja teilweise in der Öffentlichkeit gelebt wird, steht unter der Berufung, mehr als andere zu erdulden, damit es schließlich einer Vielzahl von Menschen eines Tages besser geht als heute. Du erduldest den Widerstand der öffentlichen Meinung, ärgerst Dich mit Menschen herum, die Deine Hoffnungen enttäuschen, opferst Schlaf und Zeit und Geld, und wenn eines Tages das Werk, das Du befördert hast, sichtbar stehen wird, dann werden sich vielleicht andere damit rühmen, es in die Welt gesetzt zu haben.
Eine solche Existenz ist zwar nicht die letzte Bedeutung dessen, was Jesaja beschreibt. Aber es ist der Anfang davon. Auf einer noch tieferen Ebene wird mit dem Leben des leidenden Gottesknechtes ein zweites verdeutlicht, daß nämluch der Mensch, der für Gott tätig ist, dadurch nicht auch gleichzeitig in allem gesegnet wird. Die alte Gleichung von Glaube und Belohnung ist spätestens mit Jesaja zu Ende.
Auch hierzu ein Beispiel: der von Dir verehrte Philosoph Fethullah Gülen hat ein krankes Herz, warum, fragen sich seine Anhänger, macht Gott ihn nicht zu einem vor Gesundheit strotzenden Menschen? Die Welt brauchte eigentlich einen wie ihn, der landauf landab einen versöhnlichen, friedlichen Islam verkündet.
Aber Gott hat wohl seine Pläne auch mit unseren Krankheiten, und manchmal müssen wir krank werden oder krank sein, um in der Stille der eigenen Not die Stimme Gottes besser hören zu können.
Ich denke, daß die Christen ihren Paulus deshalb besonders gerne haben, weil sie sein Leid gesehen und gespürt haben: er leidet für uns, bis heute. Und wir lernen durch ihn, auch heute noch, mit Leid und Zurücksetzungen und Schmerzen umzugehen.
In diesem Sinne hat Paulus sicherlich auch einem Moslem etwas anzubieten.
Dienstag, 4. August 2009
Die Decke des Mose
2. Korinther 3, 12 - 18
Mit dem berühmten Bild von der Decke auf dem Gesicht des Mose, mit welcher die Christen bis heute das Blickfeld und den Verstand des Volkes Israel eingeschränkt sehen, befindet sich Paulus schon mitten in seiner Verteidigungsrede. Es ist zwar nicht gerade so, daß er wie ein zweiter Mose vor einem neuen Gottesvolk steht, aber er redet durchaus mit dem Selbstbewußtsein eines Dieners, der in einem großen Auftrag steht.
Baumerts katholischer Bruder Joseph Ratzinger, Papst Bendikt XVII., hat in seinem Jesus-Buch aus 2007 ebenfalls gleich zu Beginn einen großen Blick auf Mose getan und in seinem Bild den zweiten überragenden Propheten gesehen, den Mose selbst noch angekündigt hat. Am Ende seines Lebens sagt Mose in einer großen Gesetzesrede an sein Volk (5. Mose 18,15): Einen Propheten wie mich wird dir JHWH, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen.
Der Papst schildert die herausragende Stellung des Mose für den ersten Gottesbund am Sinai, weist auf seine besondere Nähe zu Gott hin, daß er mit ihm - ein in der ganzen Bibel nie übertroffenes Prädikat - wie mit einem Freund reden konnte (2. Mose 33,11), betont aber auch, daß mit dem zweiten Propheten eine neue, gesteigerte Qualität in Bezug auf die Nähe zu Gott kommen würde. Aber schon die Nähe des Mose zu Gott ist ganz ungewöhnlich und führt zu dem Strahlen, daß die Umstehenden nicht ertragen können, so daß sie ihm eine Decke über den Kopf legen.
Baumert beschreibt sehr fein, daß diese Decke, mit der zunächst das Gesicht des Mose verhüllt war, und die jetzt über den Köpfen der jüdischen Schwestern und Brüder des Paulus liegt, nicht als Decke der Dummheit oder des Starrsinns zu verstehen ist. Sie war ja zunächst einmal ein sinnvolles Instrument, um dem Widerschein der Größe Gottes, die auf dem Gesicht des Mose lag, etwas von der für die Israeliten schwer zu ertragenden Wirkung zu nehmen. Wer sich Gott nähert, muß damit rechnen, mit einer Realität konfrontiert zu werden, für welche die menschlichen Sinne als Erkenntniswerkzeuge überfordert sind. Da ist eine Decke hilfreich.
Nebenbei - Michelangelos berühmte Skulptur des Mose mit seinen Hörnern (siehe oben) geht auf die doppelte Übersetzungsmöglichkeit "Strahl" und "Horn" für das urtextliche Wort qaran zurück. Das Mittelater hat oft "Horn" übersetzt, die Neuzeit hat sich für die Strahlen entschieden - vermutlich wegen der Decke, denn die würde gegen Hörner ja nicht schützen.
Nun ist in Jesus eine neue Offenbarung der Realität Gottes erschienen, auf die man hinschauen kann, ohne geblendet zu werden. Jesus hat es verstanden, die Gegenwart Gottes auf eine solche Weise zu spiegeln, daß sie für die Menschen nicht nur besser verständlich sondern auch besser erträglich ist. Er hat zwar das Göttliche in sich gehabt, hat es aber so in sich eingeschlossen, daß er, wie Paulus an einer anderen Stelle sagt, in jeder Hinsicht als Mensch angesehen wurde (Philipperbrief 2,7). Nun fordert Jesus als der neue Mose mit neuen Worten und mit einer neuen Offenbarung die Menschen auf, zu ihm hin zu sehen, und das ohne die Decke, die man früher in der Nähe Gottes tragen mußte.
Baumann ist auch darin auf der Linie des Papstes, daß er die alte Offenbarung vom Sinai in keiner Weise schmälert. Sie hat auf eine vollkommen richtige und notwendige Weise den Menschen die Erkenntnis ihrer Sünde gebracht. Um diese Erkenntnis kommen die Menschen nicht herum, bis heute nicht.
Die Offenbarung von Jesus Christus hat dagegen aber der letzten Erkenntnis der Gnade Gottes zum Durchbruch verholfen. Zwar war die Gnade auch schon im Bund vom Sinai mit eingeschlossen. Aber in ihrer ganzen Größe konnte sie erst erkannt werden, nachdem Jesus sie offenbarte.
Die Decke der unvollständigen Gotteserkenntnis wird also nicht den Menschen weggenommen, denen es gelingt, die Verstocktheit ihres eigenen Herzens zu überwinden. Die Freiheit, von der Paulus sagt, sie ist die Freiheit des Geistes (3,17), wird dem geschenkt, der sich voll Vertrauen Jesus zuwendet und von ihm das Geschenk der Sündenvergebung und Gnade erwartet.
Montag, 3. August 2009
Die Bedrängnis in Asien
2. Korinther 1, 8 - 11
Alle Ausleger können über den Charakter der Bedrängnis, über die Paulus am Anfang des Briefes (1,8) berichtet, nur spekulieren. Für Baumerts Verständnis des Briefes ist es offenbar vorentscheidend, daß er an dieser Stelle eine tiefe innere Bedrängnis vermutet, die unmittelbar auf die Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth zurückzuführen ist. Von dieser Interpretation her gewinnt der Brief eine Geschlossenheit, die sich, so Baumert, erst dann vollständig zeigt, wenn man ihn mit Baumerts Augen ganz bis zum Ende gelesen hat.
Folgt man Baumert, dann steht das Ende der Auseinandersetzungen (nach Apologie und Tränenbrief , also jetzt der letzte der ursprünglich drei Briefe, der Freudenbrief, durch die Umstellung des Redakteurs logisch richtig am Anfang des Gesamtbriefes. Hier wird nämlich das grundlegende Thema angesprochen und gleichzeitig klar gemacht, daß der damit verbundene Konflikt mittlerweile überwunden ist.
Im Rückblick erfährt die Gemeinde: Paulus war über die Auseinandersetzung mit den Korinthern so verletzt, daß er sich mit seinem Ansehen und seiner Lebensarbeit buchstäblich am Ende gefühlt und seinen eigenen Tod vor Augen gesehen hat. In dieser Situation hat er den Tränenbrief (Kapitel 10 - 13) geschrieben, und nun, nachdem die Auseinandersetzung zu einem guten Ende geführt wurde, kann er sich erneut an die Korinther wenden und im Freudenbrief (Kapitel 7 - 9 und die beiden ersten Kapitel) seinen Besuch ankündigen.
Auch über diesen Besuch und über die damit zusammenhängenden Reisepläne haben die Ausleger zu allen Zeiten unterschiedliche Annahmen gemacht. Es ist von zwei Besuchen die Rede, und wie immer die ursprüngliche Planung und die spätere Ausführung ausgesehen haben mögen, deutlich wird eins: der Apostel muß selbst bei weniger bedeutenden Details seiner Reisen immer noch damit rechnen, daß man sein Handeln scharf beurteilt und daraus harte, kritische Schlüsse zieht.
Warum ist das so, daß alle seine Aktionen wie durch eine Lupe betrachtet werden? Die grundlegende Antwort Baumerts ist, daß die Korinther offenbar in den Fehler verfallen sind, der bereits im Propheten Jesaja (53,3) als das große Mißverständnis derjenigen dargelegt wird, die ein für sie unverständliches Handeln Gottes zu deuten versuchen.
Sie unterliegen ihrem Irrtum allerdings aus verständlichen Gründen. Gott hat zu Zeiten des Jesaja (um 700 vor Christus) in einem neuen Akt der Offenbarung die alte Gleichung von Frömmigkeit und Gottes Segen für ein erfolgreiches Leben durchbrochen und hat in seinem leidenden Gottesknecht das Gegenteil gezeigt: einen gequälten Menschen, der in seiner Zerschlagenheit auf die Gegenwart Gottes hinweist und in ihr lebt.
Die Christen haben dies als Prophezeiung des gekruzigten Jesus verstanden, das gilt zuerst. Aber auch Paulus ist ein solcher Schmerzensmann, nur haben die Korinther Jesaja nicht gelesen oder nicht verstanden und von den Mißerfolgen des Paulus auf seine Gottverlassenheit geschlossen. Genauso machten es ja auch die Beobachter in Jesaja 53, die den Mann der Schmerzen sehen und annehmen, er sei von Gott geschlagen und niedergebeugt (53,4). Baumert sieht dieses Jesaja-Motiv durchgängig in der Person des Paulus nachvollzogen, nicht nur in Jesus.
Entsprechend muß Paulus nun darum kämpfen, daß die Korinther seine äußere Erscheinung richtig verstehen. Dazu gehört auch, daß er in seiner eingestandenen Schwäche nicht den Vorwurf ertragen will, jetzt auch noch zum Lügner gestempelt zu werden. Deshalb argumentiert er peinlich genau alle Umstände seiner Reisepläne und ihrer Änderungen. Auf einen unbeteiligten Dritten wirkt das Ganze unverständlich und fast kleinlich, aber man muß Paulus verstehen, daß er zwar den Vorwurf der Schwäche in Ehren trägt, den Vorwurf der Unwahrheit aber nicht.
Samstag, 1. August 2009
Die Arbeit eines Redakteurs
Vielfältig ist die Kritik der bereits erwähnten altfrommen Menschen an dem Gedanken, die biblischen Dokumente könnten nach ihrer ersten Niederschrift noch einmal überarbeitet und schließlich anders zusammengestellt worden sein, als es nach dem ursprünglichen Willen ihrer Schreiber gedacht war. Man kann diese Kritik in gewisser Weise verstehen, und zwar besonders dann, wenn der Redakteur zur Schlüsselfigur für das letzte und manchmal einzige Verständnis eines Textes wird, gerade so, als ob man diesen Text nur verstehen könne, wenn man die (manchmal nicht einmal besonders redlichen) Interessen des Redakteurs kennt.
Diese Verabsolutierung des Redaktionsgedankens halte ich für falsch und habe es als Befreiung empfunden, daß der Heidelberger Theologe Klaus Berger (in seinem Buch Im Anfang war Johannes) diese Konstruktion als Lieblingsidee von solchen Menschen entlarvt hat, die selbst nichts anderes kennen als das Prinzip der redaktionellen Arbeit, das Leben aus dem Zettelkasten.
Das bedeutet aber nicht, daß es keine Redaktion im Bereich der Bibel gegeben hat. Die heiligen Dokumente leiden in keiner Weise darunter, daß sie uns in menschlicher, also veränderlicher Gestalt begegnen und damit das Schicksal des Mannes teilen, von dem sie letztlich ja alle reden, Jesus. Sie sind im Laufe ihrer Geschichte vielfach auf- und abgewertet worden, gerieten in Vergessenheit und mußten wiederentdeckt werden. Erst die endgültige Zusammenstellung der Bibel um das Jahr 300 herum hat zumindest die offizielle Wertschätzung bestimmter Bibelbücher festgeschrieben.
Das Schicksal des Paulus, so wie es uns im 2. Korintherbrief begegnet, besteht ebenfalls aus einem solchen Auf und Ab in den Augen seiner Gemeinde. Man kann deshalb annehmen, daß es seinen Schriften nicht anders ergangen ist als ihrem Verfasser. Wer wollte dafür Sorge getragen haben, daß sie unmittelbar nach ihrer Abfassung von einem sorgfältigen Archivar für die Ewigkeit konserviert würden? Nein, sie dürften über manche Phasen ihrer Geschichte in staubigen Hinterzimmern gelagert worden sein, und wenn man sie dann wieder hervorholte, dann konnte man nur auf die Liebe und Sorgfalt desjenigen hoffen, der sie den Menschen neu darbieten wollte. Wenn er eine andere äußere Form wählte, aus einem Brief zwei machte oder umgekehrt zwei oder drei zu einem einzigen zusammenfügte – was tat es, wenn sie nur wieder gelesen und verstanden wurden?
Norbert Baumert setzt die Arbeit eines Redakteurs am 2. Korintherbrief voraus, ja er kann die in ihrer inneren Logik nur mit Schwierigkeiten einander zuzuordnenden Abschnitte des Briefes nur dann zu einem sinnvollen Ganzen zusammenfügen, wenn er davon ausgeht, daß er wie folgt entstanden ist:
Teil 1: Der Apostel gerät in eine wachsende Auseinandersetzung mit seiner Gemeinde hinein und muß sein Amt und seine Arbeit verteidigen. Kapitel 2 – 7, von Baumert „Apologie“
genannt.
Teil 2: Der Apostel muß sich Mit dem Rücken zur Wand vehement und emotional mit seinen Gegnern auseinandersetzen. Kapitel 10 – 13, „Tränenbrief“.
Teil 3: Der Apostel kann am Ende die Gemeinde überzeugen und schreibt in Dankbarkeit für das wiedergewonnene gegenseitige Vertrauen. Kapitel 1 – 2, Kapitel 7 – 9, „Freudenbrief“.
Etwas Neues über einen millionenfach gelesenen Brief?
Norbert Baumert hat es unternommen, Paulus neu zu lesen. So steht es als Motto auf den beiden ersten aus einer geplanten Reihe von mehreren Büchern, die im Echter Verlag erschienen sind. Ich möchte gleich vorausschicken, daß ihm dies nach meinem Eindruck in überzeugender Weise gelingt.
Man könnte es natürlich anders erwarten, denn in der langen Geschichte der Kirche sind die Briefe des Paulus nicht nur millionenfach gelesen sondern unzählige Male auch von Fachleuten kommentiert worden. Das macht es eigentlich unwahrscheinlich, daß an Ihnen heute noch etwas Neues entdeckt werden kann. Hinzukommt, daß mit der verfließenden Zeit der Abstand zu diesen historischen Texten ja immer größer wird, das geschieht ganz von selbst.
Wenn Baumert trotzdem eine Chance sieht, die Briefe wirklich noch einmal neu zu erfassen und Neues aus ihnen herauszulesen, dann hat dies vermutlich zwei Gründe. Zum einen ist die neuzeitliche Textkritik eine Wissenschaft, die durch ihr ganz eigenes Herangehen an die alten, ehrwürdigen Dokumente zu Ergebnissen geführt hat, für die sich frühere Generationen gar nicht interessiert haben. Das gilt selbst dann, wenn man dieser Textkritik unterstellt - wie viele altfromme Menschen es immer wieder getan haben - daß sie aus einem fehlgeleiteten und den Intellekt überbewertenden Interesse erfolgt. Das ändert aber nichts am Ergebnis, das insgesamt gesehen zu einer großen Vielzahl von Spiegelungen des Textes führt, aus denen jeder Ausleger in reichem Maße Material schöpfen kann.
Der zweite Grund für Baumerts Optimismus, hier etwas Neues lesen zu können, besteht darin, daß er in gewisser Weise ein altfrommer Mensch geblieben ist. Er kommt aus der charismatischen Gemeindeerneuerung, genau: aus ihrem katholischen Zweig, und ist sich von daher jederzeit bewusst, daß zum letzten Verständnis der Bibel ein geistlicher Akt hinzutreten muß, ein Handeln des gläubigen Herzens, das am Ende stärker ist als das analytische Instrumentarium des denkenden Kopfes.
Mit einem solchen gläubigen Herzen haben sicherlich schon viele Generationen von Christen die Briefe des Paulus gelesen. Wenige von ihnen haben aber gleichzeitig auch die neuzeitlichen Mittel der Textkritik zur Hand gehabt und sie so konsquent und glaubensstark wie Baumert genutzt.
In seinem ersten Buch, das den 1. Korintherbrief zum Thema hat, setzt er Herz und Verstand ein, um aus diesem Brief die Sorgen des Seelsorgers, so der Titel des Buches, herauszulesen, die Paulus bewegen. Dabei bezieht er seelsorgerliche Erfahrungen, die er in seiner charismatisch geprägten Ortsgemeinde selbst gemacht hat, ebenso in seine Überlegungen ein, wie die Ergebnisse einer strengen, auf die jeweilige Situation bezogenen Betrachtung des Textes.
Die Rückbindung an die historische Situation in der Gemeinde Korinth, die er immer wieder sorgfältig zu rekonstruieren versucht, bringt zunächst einmal die Gefahr mit sich, daß der Brief radikal verkleinert wird, man möchte sagen zu einem Brief „dekonstruiert“, der ausschließlich für die damaligen Korinther gedacht war. Richtig an dieser Befürchtung ist etwa, daß etwa am Ende wenig oder nichts übrig bleibt von einer fundamentalen Bestimmung der Rolle der Frau, die traditionell aus diesem Brief herausgelesen wird. Alles ist situationsbezogen und damit der Veränderung unterworfen.
Und trotzdem – weil in den entscheidenden Auslegungen das seelsorgerliche Herz des 75jährigen Norbert Baumert den Ausschlag gibt, entwickeln sich aus seinen Überlegungen schließlich doch grundsätzliche Prinzipien für den liebevollen und gerechten Umgang der Christen miteinander und mit ihrer Welt. So wird dann auch die historische Bedeutung des Paulus nie bestritten, sie kommt im Gegenteil neu zur Geltung, wenn auch in manchmal veränderter Gestalt.
Mir hat das erste Buch so gut gefallen, daß ich mir für das zweite Buch vorgenommen habe, es während des Lesens in der Art eines Tagebuchs mitzuschreiben. Ich hoffe darauf, daß einige meiner in Gemeinde- und Kirchenämtern stehenden Freunde zumindest meine abgekürzten Zusammenfassungen als Hinweis zur Kenntnis nehmen, wenn sie schon nicht das ganze Buch kaufen und lesen. Es könnte Gewinn darin liegen, einige grundsätzliche Gedanken aus der Bibel noch einmal unter Baumerts Anleitung neu zu ordnen und in einem größeren System zu sehen. Vieles läuft nach meinem Eindruck derzeit durcheinander, weil es die Christen nicht mehr für möglich halten, ihr Handeln in einer sich immer schneller verändernden Welt wirklich noch an alten, ursprünglichen Bibelworten festzumachen. Die Gedanken von Norbert Baumert laden hierzu ein.
Vielleicht liest ja sogar mein Freund Nureddin Öztaş mit, der mir so überaus freundlich geholfen hat, einen ähnlichen Blog während des Koran-Lesens zu schreiben. Letztlich ist ja jede Beschäftigung mit den alten heiligen Texten eine Suche nach Gott.