Montag, 17. August 2009

Eine Kollekte für die Juden?




Exkurs zu Kapitel 8 und 9

Unter den mancherlei Überraschungen, die in den Auslegungen von Baumert stecken, hat mich diese am meisten erstaunt: die Kollekte für die Heiligen in Jerusalem ist seiner Meinung nach nicht, wie traditionell angenommen wird, für die (christliche) Urgemeinde dort bestimmt, sondern für die (jüdische) Tempelgemeinde. Auch Baumert ist offenbar über die Entwicklung in der Neuauslegung der Paulusbriefe selbst verwundert und schildert, wie in einem Seminar eine junge Frau namens Maria-Irma Seewann „zum Erstaunen aller“ aufsteht und ihre These vorträgt, die Empfänger der in verschiedenen Briefen und in der Apostelgeschichte Sammlung seien die Jerusalemer Juden ganz allgemein gewesen, nicht die Judenchristen.

Liest man die Beweisführung, dann kommt man kaum umhin, ihr Schritt für Schritt zu folgen. Man fragt sich nur, warum die Theorie von Frau Seewann nicht schon länger in der Welt ist.

Hier einige von ihren Argumenten. Im Galaterbrief wird die Aufgabenteilung zwischen den Heidenmissionaren und den Judenmissionaren nacherzählt, das ging, sagt Paulus, ohne Probleme ab, per Handschlag und nur unter der einen Bedingung: die Heidenmissionare sollten der Armen gedenken (Galater 2,10). Dies Gedenken war zunächst offenbar eine Tradition unter den außerhalb Jerusalems lebenden Juden aber auch unter denen, die sich dem jüdischen Glauben angenähert oder sich ihm angeschlossen hatten. Man könnte sagen: es war eine Art Tempelsteuer.

Diese Abgabe – so Seewann – wurde auch unter den ersten Christen beibehalten. Es wurde damit dokumentiert, daß man aus dem Judentum hervorgegangen war und sich weiter zu ihm gehörig fühlte. Die ersten Christen waren ja täglich einmütig beieinander im Tempel (Apostelgeschichte 2,46), es war also natürlich, diesem Tempel auch weiterhin das zukommen zu lassen, was ihm gebührte.

In dieser Tradition steht weiterhin auch Paulus, wenn er nach seiner Verhaftung (während der Reise zur Überbringung der Spende) in Jerusalem im Verhör durch die Römer sagt, Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. (Apostelgeschichte 24,17)

Wenn er beides – das Überbringen der Almosen (die er zuvor in Rom, Korinth, Philippi und anderswo gesammelt hat) und das Opfern als Akte versteht, die im Tempel und für den Tempel zu vollziehen waren (was beim Opfer ja auch nur im Tempel möglich war), dann macht die Theorie von Seewann auch hier Sinn.

Auch eine dritte Stelle stützt diese neue Sichtweise: im Römerbrief gesteht Paulus, daß er in Sorge ist, die Ungehorsamen in Judäa könnten ihm übel wollen und daß er sich sehr wünscht, daß sein Dienst für Jerusalem den Heiligen angenehm sei. (beides Römer 15,31) Die gängige Theorie geht von einem Konflikt mit der christlichen Gemeinde dort aus und nimmt an, die Jerusalemer Christen hätten unter Umständen nicht einmal seine für sie gesammelte Kollekte annehmen wollen.

Es ist aber kein Grund vorstellbar, warum ein innerchristlicher Dissens solche gravierenden Folgen haben könnte. Dagegen ist klar: wenn die jüdischen Autoritäten von den Gemeinden des Paulus eine Art Tempelsteuer akzeptieren, dann erkennen sie damit deren Zugehörigkeit zum Judentum an. Die Juden hatten aber gemeinsam mit den Ungehorsamen in Judäa an vielen Orten damit begonnen, gegen Paulus zu agitieren. Die Akzeptanz der Armenspende mußte deshalb als fraglich angesehen werden.

Wenn Seewann Recht hat, dann haben die Brücken zum Judentum länger Bestand gehabt, als das bislang angenommen wurde – und es wäre heute leichter, noch einmal an sie anzuknüpfen. Deshalb sage ich offen: mir gefällt diese Auslegung!




1 Kommentar:

  1. Brücken zum Judentum - zuvor hatten wir schon den Griechengott, der als geistesverwandt angesehen wurde. Literatur aus Literatur: http://peteroberschelp.blogspot.com/2009/02/ohne-literatur-keine-literatur.html und Religion aus Religion. Von solchen Beobachtungen geht die Systemtheorie aus erläutert sie. Ihre Erläuterungen bleiben freilich leer und beanspruchen nicht, das Unerklärliche zu erklären. Nur der Gläubige kann im Vollton über die Welt sprechen.

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