Mittwoch, 5. August 2009

Eine Anfrage von Herrn Öztaş




Mein Freund Nureddin Öztaş liest ebenfalls diesen Blog. Zusammen haben wir den Koran gelesen, und er hat meine dabei entstandenen Blogeinträge klug und geduldig kommentiert. Nun liest er auch das, was ich über Norbert Baumert und Paulus schreibe.

Er schreibt:

Für mich bleiben die 12 Apostel Jesu (AS) zu sehr im Dunkeln. Sie treten im Christentum nicht so in Erscheinung wie Paulus, der Jesus (AS) niemals gesehen hat. Sollten aber nicht genau sie als Zeitzeugen und dadurch stärkere Boten viel mehr in Erscheinung treten als Paulus, der anfänglich sogar Urchristen verfolgt hat?

Ich weiss, daß Paulus wie kein zweiter die christlich-abendländische Tradition prägt. Aber ich traue meinem "Landsmann" nicht so wie den richtigen Aposteln. Was ist aus ihnen geworden, wo und wie haben sie gewirkt? Von wem wurden sie verfolgt? Ist ihre Botschaft mit der Botschaft des Paulus identisch? Sind die neutestamentalischen Bücher von Markus und Lukas die Schriften der gleichnamigen Apostel? Wieso steht so wenig darüber, wieso interessiert es die Christen nicht mindestens genau so viel wie Paulus?


Meine Antwort: Wenn ich es richtig sehe, gibt es drei Gründe für die Vorrangstellung des Paulus.

Zum einen ist das seine Position auf der Grenzlinie zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen, Du deutest das ja bereits an. Man kann das Christentum als eine international gewordene Version des Judentums verstehen, gerade so, als ob – weltlich gesagt – sich eine alte, regionale Firma nach langer Zeit dazu entschließt, ihre Produkte nun auch zu exportieren und nach und nach zu einem Weltkonzern zu werden. Diese Entwicklung in die ganze Welt hinein war von den Propheten Israels seit längerer Zeit vorhergesehen worden, in der Realität hatten die jüdischen Führer aber wohl immer wieder gezögert, fremde Menschen und damit auch fremde Elemente in ihr Volk und in ihre Religion aufzunehmen.

Mit dem Erscheinen von Jesus wurden diese Barrieren aufgehoben, wenn auch zunächst immer noch langsam und in vielen kleinen, manchmal schmerzlichen Schritten, über welche das Neue Testament recht offen berichtet.

Paulus nun wird zum wichtigsten Bürgen und Propagandisten dafür, daß es der Wille Gottes ist, den Glauben an ihn, also an JHWH, an den Gott Abrahams, an den Gott, der (wie wir Christen glauben) Jesus von den Toten auferweckt hat, der ganzen Welt anzubieten.

Als zweites: Paulus war in der Führungselite der Christen, die hauptsächlich aus den zwölf eigentlichen Aposteln bestand, möglicherweise der einzige mit einer höheren Bildung. Das befähigte ihn zum Beispiel, vor den Philosophen auf einem öffentlichen Platz in der Weltstadt Athen zu sprechen (im neutestamentlichen Buch der Apostelgeschichte nachzulesen, Kapitel 17). Er konnte mit hochstehenden Personen diskutieren, und er konnte seine Punkte auch schriftlich darlegen. Dabei kam seiner langfristigen Wirkung zugute, daß er auf Grund seiner vielen Reisen nur über seine vielen Briefe den Kontakt zu einzelnen Christen halten konnte, so daß von ihm sehr bald eine Reihe von schriftlichen Äußerungen in Umlauf geriet. Die anderen Jünger dagegen blieben ortsansässig, weshalb sie vermutlich wenig oder gar nichts schrieben oder schreiben ließen.

Die vier Evangelien sind bis auf Johannes nicht von Jüngern geschrieben, und bei Johannes ist die Jüngerschaft nicht einmal sicher. Lukas ist ein Reisebegleiter des Paulus und selbst einer der wichtigsten Autoren, die die Geltung des Paulus begründen. Insgesamt bereiten die Evangelien eher auf die Lektüre der Paulus-Briefe vor als daß sie eine Konkurrenz dazu wären.

Etwas Drittes habe ich eigentlich erst in der Beschäftigung mit Norbert Baumert entdeckt und auch bereits damit begonnen, im Blog darüber zu schreiben. Paulus wiederholt in seiner eigenen Person das alte Motiv des Propheten Jesaja, das Motiv vom leidenden Knecht Gottes. Das stellt ihn in nahe Beziehung zu dem eigentlichen Knecht Gottes, Jesus, und macht Paulus einzigartig.

Der Grundgedanke dieser besonderen Knechtschaft ist, daß jemand stellvertretend für andere Menschen Leid auf sich nimmt. Wenn Dir das fremd vorkommt, dann sieh auf Dich selbst. Auch Dein Leben, das ja teilweise in der Öffentlichkeit gelebt wird, steht unter der Berufung, mehr als andere zu erdulden, damit es schließlich einer Vielzahl von Menschen eines Tages besser geht als heute. Du erduldest den Widerstand der öffentlichen Meinung, ärgerst Dich mit Menschen herum, die Deine Hoffnungen enttäuschen, opferst Schlaf und Zeit und Geld, und wenn eines Tages das Werk, das Du befördert hast, sichtbar stehen wird, dann werden sich vielleicht andere damit rühmen, es in die Welt gesetzt zu haben.

Eine solche Existenz ist zwar nicht die letzte Bedeutung dessen, was Jesaja beschreibt. Aber es ist der Anfang davon. Auf einer noch tieferen Ebene wird mit dem Leben des leidenden Gottesknechtes ein zweites verdeutlicht, daß nämluch der Mensch, der für Gott tätig ist, dadurch nicht auch gleichzeitig in allem gesegnet wird. Die alte Gleichung von Glaube und Belohnung ist spätestens mit Jesaja zu Ende.

Auch hierzu ein Beispiel: der von Dir verehrte Philosoph Fethullah Gülen hat ein krankes Herz, warum, fragen sich seine Anhänger, macht Gott ihn nicht zu einem vor Gesundheit strotzenden Menschen? Die Welt brauchte eigentlich einen wie ihn, der landauf landab einen versöhnlichen, friedlichen Islam verkündet.

Aber Gott hat wohl seine Pläne auch mit unseren Krankheiten, und manchmal müssen wir krank werden oder krank sein, um in der Stille der eigenen Not die Stimme Gottes besser hören zu können.

Ich denke, daß die Christen ihren Paulus deshalb besonders gerne haben, weil sie sein Leid gesehen und gespürt haben: er leidet für uns, bis heute. Und wir lernen durch ihn, auch heute noch, mit Leid und Zurücksetzungen und Schmerzen umzugehen.

In diesem Sinne hat Paulus sicherlich auch einem Moslem etwas anzubieten.


1 Kommentar:

  1. "Ich denke, daß die Christen ihren Paulus deshalb besonders gerne haben, weil sie sein Leid gesehen und gespürt haben: er leidet für uns, bis heute. Und wir lernen durch ihn, auch heute noch, mit Leid und Zurücksetzungen und Schmerzen umzugehen."

    Jesus (FSI) selber litt am meisten. Ich denke, daß auch die Jünger gelitten haben, sogar dafür gestorben sind. Alle Propheten, Alle die Gottes Gebote verkündeten litten, wurden verspottet oder starben sogar. Der Leidensweg ist etwas Gemeinsames für alle Reformer.

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