Dienstag, 18. August 2009

Tränenbrief




2. Korinther 10 – 13

Die Apologie hat nichts genützt, es kommt zu einem spontanen Besuch des Apostels in Korinth. Der bringt ebenfalls keinen Erfolg, die Gegner gewinnen die Oberhand. Während des Besuchs macht Paulus in den Augen dieser Gegner den Fehler, in der öffentlichen Auseinandersetzung zu leise aufzutreten, auf einige Vorwürfe offenbar sogar ganz zu schweigen, was sie als Schwäche deuten. Paulus reist ab, kündigt eine Denkpause und einen zweiten Besuch an – und macht in den Augen der Gegner einen weiteren Fehler, indem er nicht wie angekündigt wiederkommt, sondern nur schreibt.

Er schreibt unter Tränen, wie er in Kapitel 2,4 sagt, und indem er schreibt, will er die Gemeinde schonen und diejenigen Leute mit milden Worten zurückgewinnen, deren Herzen er noch auf seiner Seite vermutet. Wenn es richtig ist, daß der Freudenbrief Kapitel 1 – 2 und 7 – 8 dann als letzter geschrieben wird, dann geht also die Strategie des Paulus auf. Aber das weiß er natürlich nicht, wenn er den Tränenbrief schreibt.

Er schreibt wie ein Verliebter, der seiner Geliebten tausendmal seine Liebe mit seinem Leben bewiesen hat, aber sie jetzt in Zweifel gestellt sieht. Wer sich so wie er verteidigt, klagt sich möglicherweise an, oder mehr noch: er muß Dinge über sich selbst aussagen, die er ohne Druck nie ausgesprochen hätte, die man als Liebender einfach nicht sagt. Auf sein Amt als Apostel übertragen heißt das: er muß den Nachweis über spirituelle Qualitäten führen, von denen die Gemeinde eigentlich durch ihre eigene Anschauung etwas wissen sollte, nicht durch das Eigenlob des Apostels.

Aber er wird mit anderen verglichen, mit angeblich besseren, erfolgreicheren Aposteln. Deshalb muß er reden, und er wählt einen Kunstgriff und hält eine Narrenrede. Nehmt mich an als einen der ohne Verstand ist, damit ich mich einmal selbst loben darf, sagt er, frei übersetzt, in Kapitel 11,16. Und dann gibt er die Zurückhaltung auf und berichtet von acht Auspeitschungen, von einer Steinigung, dreimaliger Seenot und vielen anderen Gefahren mehr. Immer wieder darauf hinweisend, wie sinnlos und närrisch sein Rühmen ist, fährt er fort, über himmlische Visionen zu sprechen, die ihm zuteil wurden, und auch über das Gegenteil: körperliche Angriffe des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt.

An dieser Stelle verläßt Baumert allerlei traditionelle Erklärungen und nimmt einfach wörtlich an: der Engel Satans, der dem Paulus als ein Dorn im Fleisch beigegeben ist (Luther sagt Pfahl im Fleisch) und ihn mit Fäusten schlägt ist der Teufel selbst, und Paulus hat also keine epileptischen Anfälle oder sinnliche Versuchungen, wie andere Ausleger angenommen haben, sondern tatsächliche blaue Flecken und ausgeschlagene Zähne - von realen Angriffen des Satans.

Bei der Stelle mit den himmlischen Visionen und dem Teufel ist Baumert erneut der tief fromme Katholik, der über eine Gotteserfahrung weiß, nur wer sich persönlich darauf eingelassen hat, und in dieser Dimension lebt, weiß von innen her, was es bedeutet. Das schließt für ihn auch die Erfahrung einer Bedrohung durch finstere Mächte mit ein.

Nirgendwo sonst gibt Paulus so viel von seinem Leben preis, nirgendwo sonst wird er so sehr ein Narr um Christi willen, wie er es in 1. Korinther 4,10 bereits als eine Art Programm verkündigt hat.

P.S. Viele haben sich später auf diese Narrenrolle bezogen und sind mutig im Glauben über die ihnen gesetzten Grenzen geschritten. Mir gefällt jener neuzeitliche Narr besonders, von dem mir ein christlicher Freund erzählte, er habe ihn in Washington getroffen, auf den Stufen des Capitols. Der Narr trug zwei Werbetafeln umgeschnallt. Auf der vorderen stand: I am a fool for Christ. (Ich bin ein Narr für Christus). Mein Freund wollte schnell weitergehen, weil ihn diese Werbung eher peinlich berührte. Da las er auch die zweite Tafel auf dem Rücken des Mannes und erschrak: Whose fool are you? (Wessen Narr bist du?)



1 Kommentar:

  1. Whose fool are you: Der Narr in Christo, der jurodivyj, ist in der russisch-orthodoxen Kirche und hergeleitet davon bei Dostojewski eine ganz wichtige Gestalt.

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