2. Korinther 1, 8 - 11
Alle Ausleger können über den Charakter der Bedrängnis, über die Paulus am Anfang des Briefes (1,8) berichtet, nur spekulieren. Für Baumerts Verständnis des Briefes ist es offenbar vorentscheidend, daß er an dieser Stelle eine tiefe innere Bedrängnis vermutet, die unmittelbar auf die Auseinandersetzung mit der Gemeinde in Korinth zurückzuführen ist. Von dieser Interpretation her gewinnt der Brief eine Geschlossenheit, die sich, so Baumert, erst dann vollständig zeigt, wenn man ihn mit Baumerts Augen ganz bis zum Ende gelesen hat.
Folgt man Baumert, dann steht das Ende der Auseinandersetzungen (nach Apologie und Tränenbrief , also jetzt der letzte der ursprünglich drei Briefe, der Freudenbrief, durch die Umstellung des Redakteurs logisch richtig am Anfang des Gesamtbriefes. Hier wird nämlich das grundlegende Thema angesprochen und gleichzeitig klar gemacht, daß der damit verbundene Konflikt mittlerweile überwunden ist.
Im Rückblick erfährt die Gemeinde: Paulus war über die Auseinandersetzung mit den Korinthern so verletzt, daß er sich mit seinem Ansehen und seiner Lebensarbeit buchstäblich am Ende gefühlt und seinen eigenen Tod vor Augen gesehen hat. In dieser Situation hat er den Tränenbrief (Kapitel 10 - 13) geschrieben, und nun, nachdem die Auseinandersetzung zu einem guten Ende geführt wurde, kann er sich erneut an die Korinther wenden und im Freudenbrief (Kapitel 7 - 9 und die beiden ersten Kapitel) seinen Besuch ankündigen.
Auch über diesen Besuch und über die damit zusammenhängenden Reisepläne haben die Ausleger zu allen Zeiten unterschiedliche Annahmen gemacht. Es ist von zwei Besuchen die Rede, und wie immer die ursprüngliche Planung und die spätere Ausführung ausgesehen haben mögen, deutlich wird eins: der Apostel muß selbst bei weniger bedeutenden Details seiner Reisen immer noch damit rechnen, daß man sein Handeln scharf beurteilt und daraus harte, kritische Schlüsse zieht.
Warum ist das so, daß alle seine Aktionen wie durch eine Lupe betrachtet werden? Die grundlegende Antwort Baumerts ist, daß die Korinther offenbar in den Fehler verfallen sind, der bereits im Propheten Jesaja (53,3) als das große Mißverständnis derjenigen dargelegt wird, die ein für sie unverständliches Handeln Gottes zu deuten versuchen.
Sie unterliegen ihrem Irrtum allerdings aus verständlichen Gründen. Gott hat zu Zeiten des Jesaja (um 700 vor Christus) in einem neuen Akt der Offenbarung die alte Gleichung von Frömmigkeit und Gottes Segen für ein erfolgreiches Leben durchbrochen und hat in seinem leidenden Gottesknecht das Gegenteil gezeigt: einen gequälten Menschen, der in seiner Zerschlagenheit auf die Gegenwart Gottes hinweist und in ihr lebt.
Die Christen haben dies als Prophezeiung des gekruzigten Jesus verstanden, das gilt zuerst. Aber auch Paulus ist ein solcher Schmerzensmann, nur haben die Korinther Jesaja nicht gelesen oder nicht verstanden und von den Mißerfolgen des Paulus auf seine Gottverlassenheit geschlossen. Genauso machten es ja auch die Beobachter in Jesaja 53, die den Mann der Schmerzen sehen und annehmen, er sei von Gott geschlagen und niedergebeugt (53,4). Baumert sieht dieses Jesaja-Motiv durchgängig in der Person des Paulus nachvollzogen, nicht nur in Jesus.
Entsprechend muß Paulus nun darum kämpfen, daß die Korinther seine äußere Erscheinung richtig verstehen. Dazu gehört auch, daß er in seiner eingestandenen Schwäche nicht den Vorwurf ertragen will, jetzt auch noch zum Lügner gestempelt zu werden. Deshalb argumentiert er peinlich genau alle Umstände seiner Reisepläne und ihrer Änderungen. Auf einen unbeteiligten Dritten wirkt das Ganze unverständlich und fast kleinlich, aber man muß Paulus verstehen, daß er zwar den Vorwurf der Schwäche in Ehren trägt, den Vorwurf der Unwahrheit aber nicht.
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