Dienstag, 4. August 2009

Die Decke des Mose



2. Korinther 3, 12 - 18

Mit dem berühmten Bild von der Decke auf dem Gesicht des Mose, mit welcher die Christen bis heute das Blickfeld und den Verstand des Volkes Israel eingeschränkt sehen, befindet sich Paulus schon mitten in seiner Verteidigungsrede. Es ist zwar nicht gerade so, daß er wie ein zweiter Mose vor einem neuen Gottesvolk steht, aber er redet durchaus mit dem Selbstbewußtsein eines Dieners, der in einem großen Auftrag steht.

Baumerts katholischer Bruder Joseph Ratzinger, Papst Bendikt XVII., hat in seinem Jesus-Buch aus 2007 ebenfalls gleich zu Beginn einen großen Blick auf Mose getan und in seinem Bild den zweiten überragenden Propheten gesehen, den Mose selbst noch angekündigt hat. Am Ende seines Lebens sagt Mose in einer großen Gesetzesrede an sein Volk (5. Mose 18,15): Einen Propheten wie mich wird dir JHWH, dein Gott, erwecken aus dir und aus deinen Brüdern; dem sollt ihr gehorchen.


Der Papst schildert die herausragende Stellung des Mose für den ersten Gottesbund am Sinai, weist auf seine besondere Nähe zu Gott hin, daß er mit ihm - ein in der ganzen Bibel nie übertroffenes Prädikat - wie mit einem Freund reden konnte (2. Mose 33,11), betont aber auch, daß mit dem zweiten Propheten eine neue, gesteigerte Qualität in Bezug auf die Nähe zu Gott kommen würde. Aber schon die Nähe des Mose zu Gott ist ganz ungewöhnlich und führt zu dem Strahlen, daß die Umstehenden nicht ertragen können, so daß sie ihm eine Decke über den Kopf legen.

Baumert beschreibt sehr fein, daß diese Decke, mit der zunächst das Gesicht des Mose verhüllt war, und die jetzt über den Köpfen der jüdischen Schwestern und Brüder des Paulus liegt, nicht als Decke der Dummheit oder des Starrsinns zu verstehen ist. Sie war ja zunächst einmal ein sinnvolles Instrument, um dem Widerschein der Größe Gottes, die auf dem Gesicht des Mose lag, etwas von der für die Israeliten schwer zu ertragenden Wirkung zu nehmen. Wer sich Gott nähert, muß damit rechnen, mit einer Realität konfrontiert zu werden, für welche die menschlichen Sinne als Erkenntniswerkzeuge überfordert sind. Da ist eine Decke hilfreich.

Nebenbei - Michelangelos berühmte Skulptur des Mose mit seinen Hörnern (siehe oben) geht auf die doppelte Übersetzungsmöglichkeit "Strahl" und "Horn" für das urtextliche Wort qaran zurück. Das Mittelater hat oft "Horn" übersetzt, die Neuzeit hat sich für die Strahlen entschieden - vermutlich wegen der Decke, denn die würde gegen Hörner ja nicht schützen.

Nun ist in Jesus eine neue Offenbarung der Realität Gottes erschienen, auf die man hinschauen kann, ohne geblendet zu werden. Jesus hat es verstanden, die Gegenwart Gottes auf eine solche Weise zu spiegeln, daß sie für die Menschen nicht nur besser verständlich sondern auch besser erträglich ist. Er hat zwar das Göttliche in sich gehabt, hat es aber so in sich eingeschlossen, daß er, wie Paulus an einer anderen Stelle sagt, in jeder Hinsicht als Mensch angesehen wurde (Philipperbrief 2,7). Nun fordert Jesus als der neue Mose mit neuen Worten und mit einer neuen Offenbarung die Menschen auf, zu ihm hin zu sehen, und das ohne die Decke, die man früher in der Nähe Gottes tragen mußte.

Baumann ist auch darin auf der Linie des Papstes, daß er die alte Offenbarung vom Sinai in keiner Weise schmälert. Sie hat auf eine vollkommen richtige und notwendige Weise den Menschen die Erkenntnis ihrer Sünde gebracht. Um diese Erkenntnis kommen die Menschen nicht herum, bis heute nicht.

Die Offenbarung von Jesus Christus hat dagegen aber der letzten Erkenntnis der Gnade Gottes zum Durchbruch verholfen. Zwar war die Gnade auch schon im Bund vom Sinai mit eingeschlossen. Aber in ihrer ganzen Größe konnte sie erst erkannt werden, nachdem Jesus sie offenbarte.

Die Decke der unvollständigen Gotteserkenntnis wird also nicht den Menschen weggenommen, denen es gelingt, die Verstocktheit ihres eigenen Herzens zu überwinden. Die Freiheit, von der Paulus sagt, sie ist die Freiheit des Geistes (3,17), wird dem geschenkt, der sich voll Vertrauen Jesus zuwendet und von ihm das Geschenk der Sündenvergebung und Gnade erwartet.




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