2. Korinther 8,1 – 9,15
Paulus bittet in diesem Briefabschnitt um eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem. Der Kern seiner Worte ist aber nicht das Geld. Es ist das, was gleich zu Beginn über das Vorbild gesagt wird, das eine andere Gemeinde, möglicherweise Philippi, den Korinthern gegeben hat. Baumert übersetzt das Attribut, welches Paulus für diese Gemeinde findet, mit Einfachheit. Und Paulus wünscht nun also auch den Korinthern Einfachheit. Das ist nicht die Freigebigkeit der Elberfelder Übersetzung, die hier allzu sehr einen Zweck in der Einfachheit nahelegt, nämlich aus einfachem Herzen froh zu geben. Näher an Einfachheit ist Luther, der Einfalt an dieser Stelle wählt, wobei dieses Wort nun allerdings ja einen Bedeutungswandel durchgemacht hat, der den ursprünglichen Luther-Sinn überdeckt.
Baumert frischt mit Einfachheit diesen Sinn wieder auf. Es ist ein Charakterzug der in einem Prozeß gewonnen wird, der auch hier eine Metamorphose im Sinne des leidenden Gottesknechtes aus Jesaja ist, aus dessen Wunden Heilung entsteht. Über die Vorbild-Gemeinde wird in der Übersetzung Baumerts gesagt, es ist ihre abgrundtiefe Armut angewachsen bis zu dem Reichtum ihrer Einfachheit (8,2). Armut hat Reichtum aus sich hervorgebracht. Meine interlineare griechisch-deutsche Bibel benutzt hier statt angewachsen das Wort übergeströmt, das macht die Verwandlung von Armut in Reichtum noch bildhafter.
Welcher Art ist dieser Reichtum? Es lohnt sich, hier dem griechischen Wort für Einfachheit haplotes nachzugehen. Es wird an den sieben Stellen, an denen es im Neuen Testament vorkommt, von Luther entweder mit Einfalt (sechsmal) oder mit Lauterkeit (einmal) übersetzt – die Knechte sollen in Einfalt ihren Herren dienen (Epheser 6,5), also redlich und lauter, und die Geldgeber sollen ebenfalls in Lauterkeit und ohne Hintergedanken spenden (Römer 12,8). Auch bei Jesus findet sich das Wort haplous in der Aussage der Bergpredigt über das Auge als Licht des Leibes, das lauter und klar sein soll, nicht böse und dunkel (Matthäus 6,22).
Es ist also das Ziel eines christlichen Lebens, in diese Verwandlung hineingenommen zu werden: in ärmlichen äußeren Umständen entsteht ein innerer Reichtum an Einfachheit und Lauterkeit. Paulus schreibt, daß dies eine charis ist, ein Geschenk Gottes, eine Gnadengabe.
Man kann mit moderner Skepsis den Sinn der Kapitel 8 und 9 zu einer einfachen „Kollektenpredigt“ herunterdrehen und alles das klein machen, was der Apostel um das Geben herum und zur tieferen Begründung des Gebens sagt. Gerade ältere Christen mit einer längeren Lebenserfahrung hören gerne das materielle Interesse hinter frommen Worten heraus.
Gegen diese kommerzielle Deutung spricht aber das Umfeld des Briefes, in dem sich ja eine ungemein zarte Annäherung des Paulus an seine Gemeinde vollzieht, die zuvor im Streit mit ihm gelegen hatte, in Teilen zumindest, und die er nur mit großer Mühe zurückzugewinnen konnte. In dieser immer noch sensiblen Situation kann er mit ihnen nur über eine Kollekte reden, wenn er um den tieferen Sinn einer solchen Liebesgabe weiß. Und der ist mit dem Gewinn eines Reichtums der Einfachheit wunderbar beschrieben.
Verwandlung von Armut in Reichtum: Ich habe es immer so verstehen müssen, daß das Christentum einen essentiellen Bezug zur Askese hat, und kann mich nur wundern, wie es der zeitgenössischen Alltagstheologie gelungen ist, diesen Bezug praktisch ganz zu vertreiben zugunsten des gegenläufigen Gedanken des Genusses des von Gott geschenkten Lebens, der natürlich auch seine Berechtigung hat, aber doch dem sehr nahe steht, was sich sozusagen heidnisch ohnehin abspielt.
AntwortenLöschen