Erster Brief an die Thessalonicher
Erholsam und erleichternd ist es, diesen Brief an die Thessalonicher zu lesen, wenn man sich zuvor mit einiger Mühe, ja sogar manchmal mit starken Qualen durch die beiden Briefe an die Korinther gearbeitet hat. In Thessalonich ist offensichtlich alles anders und besser als in Korinth.
Dabei wird zunächst einmal an vielen Stellen der Briefe die Ähnlichkeit zwischen beiden Gemeinden deutlich. Allgemein gesagt: sie sind jeweils Gemeinden zweier großer Hafenstädte, die in ihrer regionalen Bedeutung vielleicht nur von Athen übertroffen werden. Beide Gemeinden sind Gegenstand von umfänglichen Reiseplänen des Apostels Paulus, deren detaillierte Ausbreitung heute, mit einem Abstand von 2000 Jahren gelesen, auf den ersten Blick etwas müßig erscheint. Beide Gemeinden legen aber offenbar großen Wert darauf, diese Reisepläne präzise mitgeteilt zu bekommen, um sich daraus ein Bild zu machen, wie es um die Liebe des Apostels und Gemeindegründers zur alten Gemeinde bestellt ist.
In beiden Gemeinden hat sich Paulus länger aufgehalten und war damit, auch das ist Thema in den Briefen an beide Gemeinden, vor die Frage gestellt, welchen Anteil die Gemeinde an seinem Lebensunterhalt aufbringen sollte. Er hat offenbar durchgängig auf Gelder der Mitglieder verzichtet und stattdessen von seiner eigenen Arbeit gelebt. Er spricht das Thema beiden Gemeinden gegenüber im Rückblick noch einmal an, in Thessalonich entspannt, in Korinth nicht..
Der Unterschied zwischen den beiden Gemeinden ist, daß Paulus an der Gemeinde in Thessalonich so gut wie nichts auszusetzen hat. Er liebt sie, stimmt mit ihr überein und schreibt gerade so, als ob er den Thessalonichern nur noch darin helfen will, daß sie das bereits zu 98% erfüllte Soll jetzt auch vollständig erfüllen können.
Den Nachbarn der Thessalonicher, den Philippern schreibt er in ähnlicher Weise: „macht meine Freude vollkommen“, sagt er dort, verweist bei ihnen auf das viele bereits vorhandene Gute und ermutigt, nun auch noch einen letzten kleinen Schritt zu gehen. Genauso ist es in Thessalonich, dort ist so viel zu loben, daß Paulus sich darauf beziehen und sagen kann: „nehmt darin zu.“
Im Gegensatz zu Korinth ist in Thessalonich die Autorität des Paulus nie angefochten worden. Im Gegenteil: es ist hier etwas gelungen, an dem Paulus offenbar hart gearbeitet hat, und das ich beim neuen Lesen in diesen Tagen mit Überraschung entdeckt habe: die individuelle Begleitung jedes einzelnen Gemeindemitgliedes in seinem Glauben. So sagt es Kapitel 2, 11 aus.
Man ist versucht, hier ein Modewort zu gebrauchen, das die Sache aber nur teilweise treffen würde: Coaching. Paulus kann an unzählige Einzelgespräche anknüpfen, wenn er sagt: ich will demnächst zu euch kommen und „das vollenden, was an eurem Glauben mangelt“ (Kapitel 3,10).
Woran mangelt es? Paulus spricht zwei mögliche Themenbereiche kurz und ohne konkrete Kritik an, um dann aber bereits beim dritten wieder zu sagen: darüber (über die Bruderliebe) „habt ihr nicht nötig, daß man euch schreibt“ (Kapitel 4,9). Die beiden ersten Themen streifen die Reinheit in sexuellen und die Redlichkeit in geschäftlichen Dingen, Klagepunkte wie in Korinth gibt es hierzu aber nicht.
Ein viertes Thema wird dann eher vorbeugend angesprochen: die Gemeinde erlebt die ersten Todesfälle unter ihren Mitgliedern und erinnert sich möglicherweise an Jesusworte, die ihr überliefert worden waren und aus denen man schließen konnte, daß kein Christ den Tod sehen würde. Die Wiederkunft Christi wurde ja unmittelbar erwartet. Paulus stellt zugunsten der Verstorbenen klar, daß sie bei der Wiederkunft Jesu an erster Stelle, noch vor den Lebenden, ihrem Herrn entgegen gehen werden. Sie warten mit uns, man muß sich um sie keine Sorgen machen.
Am Ende sagt er zu einem weiteren Thema noch einmal: ich schreibe euch etwas, was ihr bereits wißt. Es geht um den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi, den man zwar nicht wissen kann, der aber in Anlehnung an ein möglicherweise auch in Thessalonich bekanntes Jesuswort (Lukas 12,39) kommen wird „wie ein Dieb in der Nacht“. Paulus sagt: wer wie ihr im Licht lebt, wird zu keinem Zeitpunkt von der Wiederkunft überrascht werden.
Von Glaube, Liebe und Hoffnung redet Paulus auch hier. Sie werden mit wehrhaften Kleidungsstücken gleichgesetzt, Brustpanzer (Glaube und Liebe) und Helm (Hoffnung). So gerüstet gehen die Christen durch eine für sie oft bedrohliche Welt. Schließlich werden sie zu einer langmütigen Aufmerksamkeit des einen für den anderen aufgefordert. Und dann heißt es kurz vor dem Ende des Briefes „Prüfet alles, und das Gute behaltet!“ (Kapitel 5,20). So redet man mit einer erwachsen gewordenen Gemeinde, mit Kindern des Lichts.
Mit dem geschärften Blick für die Gemeinde Korinth, den man durch Baumert gewinnt, wirkt Thessalonich auf eigenartige Weise bekannt - nun aber auf eine befreiende Art und Weise aus den Problemen herausgenommen, die Korinth plagen. Und man freut sich, daß Arbeit an einer Gemeinde, coaching, offenbar gelingen kann.
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