Zweiter Brief an die Thessalonicher
Daß der Glaube nicht mein Ding ist, konnten in dieser heute jugendgemäßen Sprache bereits die Leute zu Luthers Zeiten sagen. Jedenfalls hat Luther die entsprechende Stelle im letzten der drei kurzen Kapitel bereits in der Urfassung seiner Bibel so übersetzt. Seine Version wurde durch die Jahrhunderte beibehalten und findet sich noch in meiner Lutherbibel von 1964. Erst spätere Revisionen haben nicht jedermanns Sache daraus gemacht . Der griechische Urtext hat weder das eine noch das andere, hier heißt es nur knapp "nicht aller ist pistis, wobei das Wort pistis sowohl mit Glaube als auch mit Vertrauen oder Trauen übersetzt werden kann.
Das etwas pessimistisch klingende Wort wird von Paulus nur in einem Nebensatz gesagt, die großen Themen des Briefes beschäftigen sich mit anderen Dingen. Das Pauluswort füllte sich vor einiger Zeit aber bei mir mit Leben, als ein Missionar in Afrika, mit dem ich als Kind unter einem Dach aufgewachsen war, mir in einem Brief genau diese Stelle als seinen persönlichen Eindruck von seiner Arbeit schrieb. Auch dieser Afrikamissionar war wie Paulus mit anderen, großen Themen beschäftigt. Aber wenn er inne hielt, und auf das blickte, was er bei dem größeren Teil der Bevölkerung bewirkt hatte, unter der er lebte, dann kam auch er zu dem Ergebnis, daß seine Botschaft bei weitem nicht alle Menschen erreichte.
Man muß vermutlich die Gleichgültigkeit vieler Zuhörer als eine grundsätzliche Entmutigung und Gefährdung jeder christlichen Mission in Erinnerung behalten, wenn man von den anderen Gefährdungen liest, über die Paulus im Hauptteil des Briefes schreibt. Es sind zwei: die Verfolgungen durch feindselig eingestellte Mitbürger und die Ungewißheit, wie diese Verfolgungen in den Gesamtrahmen des laufenden Prozesses einzuordnen waren, der erwartungsgemäß in Kürze auf das göttliche Endgericht zuführen würde.
Die Verfolgungen hatten sich bereits in den Tagen angekündigt, in denen Paulus zum ersten Mal in Thessalonich war. Es ist eine Kombination aus gesetzestreuen Juden (sie werden im Bercht von Apostelgeschichte 17 als neidisch beschrieben), kaisertreuen Griechen und einem leicht zu Untaten anstiftbaren städtischen Pöbel, die dem Paulus und sicherlich später in ähnlicher Zusammensetzung dann der Gemeinde Schwierigkeiten macht. Paulus ermutigt die Gemeinde zur Treue. Die Verfolgung wird am Ende erweisen, daß die Gemeinde würdig ist, zu Gott zu gehören.
Schwieriger ist es schon, die Zeichen der Zeit recht zu deuten, was die erwartete Wiederkunft Jesu betrifft. Paulus widerspricht denen, die den bereits im Alten Testament angekündigten Tag des Herrn als bereits gekommen ansehen. Noch im ersten Brief hatte er geschrieben, dieser Tage käme wie ein Dieb in der Nacht. Niemand könne das Datum vorher wissen. Nun ergänzt er ein wichtiges Detail: der Tag kann erst kommen, wenn die Ungerechtigkeit auf Erden überhand genommen hat. Paulus spricht, ohne den Begriff zu nennen, von einem Antichristen, der göttlichen Respekt verlangen und auch erhalten wird. Erst nach dessen Erscheinen wird Jesus wiederkommen und dabei diesen Widersacher besiegen.
Wer den Brief heute liest, wird angesichts der vielen Antichristen, die zwischenzeitlich gekommen und wieder gegangen sind, und angesichts der immer unübersichtlicheren Lage, was ein vorstellbares Ende der Welt betrifft, möglicherweise zu dem Urteil kommen, daß auch für ihn der Glaube nicht sein Ding ist. Vielleicht muß er zurück zu der ursprünglichen Predigt des Paulus gehen, so wie sie in Apostelgeschichte 17 geschildert wird. In deren Kern stehen die Worte Christus mußte leiden. Von der Anschauungen dieses Leidens führt ein Weg zu dem versöhnten und friedvollen Leben untereinander, das in dieser Gemeinde begonnen hat, und das Paulus mit allen seinen Kräften stärken will. Ein solches Leben könnte am Ende doch das "Ding" auch moderner Menschen werden. Man hofft es jedenfalls.
Sonntag, 6. Dezember 2009
Nicht jedermanns Ding
Samstag, 28. November 2009
Kinder des Lichts
Erster Brief an die Thessalonicher
Erholsam und erleichternd ist es, diesen Brief an die Thessalonicher zu lesen, wenn man sich zuvor mit einiger Mühe, ja sogar manchmal mit starken Qualen durch die beiden Briefe an die Korinther gearbeitet hat. In Thessalonich ist offensichtlich alles anders und besser als in Korinth.
Dabei wird zunächst einmal an vielen Stellen der Briefe die Ähnlichkeit zwischen beiden Gemeinden deutlich. Allgemein gesagt: sie sind jeweils Gemeinden zweier großer Hafenstädte, die in ihrer regionalen Bedeutung vielleicht nur von Athen übertroffen werden. Beide Gemeinden sind Gegenstand von umfänglichen Reiseplänen des Apostels Paulus, deren detaillierte Ausbreitung heute, mit einem Abstand von 2000 Jahren gelesen, auf den ersten Blick etwas müßig erscheint. Beide Gemeinden legen aber offenbar großen Wert darauf, diese Reisepläne präzise mitgeteilt zu bekommen, um sich daraus ein Bild zu machen, wie es um die Liebe des Apostels und Gemeindegründers zur alten Gemeinde bestellt ist.
In beiden Gemeinden hat sich Paulus länger aufgehalten und war damit, auch das ist Thema in den Briefen an beide Gemeinden, vor die Frage gestellt, welchen Anteil die Gemeinde an seinem Lebensunterhalt aufbringen sollte. Er hat offenbar durchgängig auf Gelder der Mitglieder verzichtet und stattdessen von seiner eigenen Arbeit gelebt. Er spricht das Thema beiden Gemeinden gegenüber im Rückblick noch einmal an, in Thessalonich entspannt, in Korinth nicht..
Der Unterschied zwischen den beiden Gemeinden ist, daß Paulus an der Gemeinde in Thessalonich so gut wie nichts auszusetzen hat. Er liebt sie, stimmt mit ihr überein und schreibt gerade so, als ob er den Thessalonichern nur noch darin helfen will, daß sie das bereits zu 98% erfüllte Soll jetzt auch vollständig erfüllen können.
Den Nachbarn der Thessalonicher, den Philippern schreibt er in ähnlicher Weise: „macht meine Freude vollkommen“, sagt er dort, verweist bei ihnen auf das viele bereits vorhandene Gute und ermutigt, nun auch noch einen letzten kleinen Schritt zu gehen. Genauso ist es in Thessalonich, dort ist so viel zu loben, daß Paulus sich darauf beziehen und sagen kann: „nehmt darin zu.“
Im Gegensatz zu Korinth ist in Thessalonich die Autorität des Paulus nie angefochten worden. Im Gegenteil: es ist hier etwas gelungen, an dem Paulus offenbar hart gearbeitet hat, und das ich beim neuen Lesen in diesen Tagen mit Überraschung entdeckt habe: die individuelle Begleitung jedes einzelnen Gemeindemitgliedes in seinem Glauben. So sagt es Kapitel 2, 11 aus.
Man ist versucht, hier ein Modewort zu gebrauchen, das die Sache aber nur teilweise treffen würde: Coaching. Paulus kann an unzählige Einzelgespräche anknüpfen, wenn er sagt: ich will demnächst zu euch kommen und „das vollenden, was an eurem Glauben mangelt“ (Kapitel 3,10).
Woran mangelt es? Paulus spricht zwei mögliche Themenbereiche kurz und ohne konkrete Kritik an, um dann aber bereits beim dritten wieder zu sagen: darüber (über die Bruderliebe) „habt ihr nicht nötig, daß man euch schreibt“ (Kapitel 4,9). Die beiden ersten Themen streifen die Reinheit in sexuellen und die Redlichkeit in geschäftlichen Dingen, Klagepunkte wie in Korinth gibt es hierzu aber nicht.
Ein viertes Thema wird dann eher vorbeugend angesprochen: die Gemeinde erlebt die ersten Todesfälle unter ihren Mitgliedern und erinnert sich möglicherweise an Jesusworte, die ihr überliefert worden waren und aus denen man schließen konnte, daß kein Christ den Tod sehen würde. Die Wiederkunft Christi wurde ja unmittelbar erwartet. Paulus stellt zugunsten der Verstorbenen klar, daß sie bei der Wiederkunft Jesu an erster Stelle, noch vor den Lebenden, ihrem Herrn entgegen gehen werden. Sie warten mit uns, man muß sich um sie keine Sorgen machen.
Am Ende sagt er zu einem weiteren Thema noch einmal: ich schreibe euch etwas, was ihr bereits wißt. Es geht um den Zeitpunkt der Wiederkunft Christi, den man zwar nicht wissen kann, der aber in Anlehnung an ein möglicherweise auch in Thessalonich bekanntes Jesuswort (Lukas 12,39) kommen wird „wie ein Dieb in der Nacht“. Paulus sagt: wer wie ihr im Licht lebt, wird zu keinem Zeitpunkt von der Wiederkunft überrascht werden.
Von Glaube, Liebe und Hoffnung redet Paulus auch hier. Sie werden mit wehrhaften Kleidungsstücken gleichgesetzt, Brustpanzer (Glaube und Liebe) und Helm (Hoffnung). So gerüstet gehen die Christen durch eine für sie oft bedrohliche Welt. Schließlich werden sie zu einer langmütigen Aufmerksamkeit des einen für den anderen aufgefordert. Und dann heißt es kurz vor dem Ende des Briefes „Prüfet alles, und das Gute behaltet!“ (Kapitel 5,20). So redet man mit einer erwachsen gewordenen Gemeinde, mit Kindern des Lichts.
Mit dem geschärften Blick für die Gemeinde Korinth, den man durch Baumert gewinnt, wirkt Thessalonich auf eigenartige Weise bekannt - nun aber auf eine befreiende Art und Weise aus den Problemen herausgenommen, die Korinth plagen. Und man freut sich, daß Arbeit an einer Gemeinde, coaching, offenbar gelingen kann.
Donnerstag, 20. August 2009
Am Ende: Glück
Schluß
Wenn man Norbert Baumert bis zum Ende folgt, ergibt sich das Bild eines Apostels, der mit seiner Gemeinde ein einziges, schwerwiegendes Problem hat, und dem es am Ende gelingt, dieses Problem in Fríeden zu lösen.
Der Brief enthält harte und leidenschaftliche Worte, aber trotzdem gilt: die Gemeinde ist nicht insgesamt auf Abwege geraten, also etwa einer Irrlehre aufgesessen, sie ist auch nicht, wie man das nach den ersten Korintherbrief vermuten könnte, in viele Fraktionen gespalten und untereinander zerstritten. Sie hat sich lediglich einreden lassen, daß ihr Apostel, dieser von vielen Stürmen und Verfolgungen offenbar unansehnlich gewordene Mann, ein aus der Gnade Gottes gefallener ist, ein Verlierer.
Diese Ansicht der Gemeinde hat ihn nicht nur gekränkt, sie hat ihn auch an der Erkenntnisfähigkeit der Korinther zweifeln lassen. Die sollten nämlich wissen, daß sich der Gott, den er, Paulus, in Christi Auftrag verkündigt, nicht in sichtbarem Erfolg und in Wohlergehen erweist, sondern in einem Leben, das an Spannungen reich ist und sich ständig zwischen äußerem Mangel und innerem Überfluß hin und her bewegt.
Ein solches Leben steht in der langen jüdischen Tradition, die bei Jesaja und seinem leidenden Gottesknecht beginnt, sich fortsetzt in den ihre Armut annehmenden Gläubigen der vormessianischen Zeit, sich in Jesus schließlich in ihrer vollkommenen Gestalt zeigt und nun in der Nachfolge des Paulus weiterlebt und sich einer für die Korinther greifbaren Gegenwart entfaltet. Vielleicht ist der zweite Korintherbrief von den jungen Christen der ersten drei Jahrhunderte deshalb geschätzt und aufbewahrt worden weil er diese Tradition sehr rein bewahrt und eine ermutigende Aufforderung enthält, selbst ein Teil dieser Tradition zu werden.
Am Ende kann nämlich im Prinzip jeder Christ so leben, wie es Paulus als Vorbild vor seine Augen stellt. Es ist das Leben im Glück eines inneren Reichtums.
Ich schreibe dies mit Dank an Nurredin Öztaş, der mit seinen Beiträgen aus dem Islam diesem Blog eine etwas andere Richtung gegeben hat, der manchen Gedanken des Paulus aber nahe ist, weil er selbst ebenfalls in dem Glauben lebt, einen ganz ähnlichen inneren Reichtum finden zu können. Ich sage es mit gleichen Dank an Peter Oberschelp, der mich mit seiner Skepsis gegen solchen Reichtum immer neu dazu anstachelt, tiefer in Gedanken zu graben, wie man sie bei Paulus findet.
Peter Oberschelp hat mir zuletzt geschrieben. Du empfindest unser Alltagsleben sowohl als normal als auch im Prinzip befriedigend und hinreichend, wenn es unter dem milden Licht Gottes steht, denke ich. Und er hat diesen Empfindungen widersprochen. Vielleicht hat er Recht und unser Leben kann nicht letztlich gegen den Angriff des Unnormalen und des Unbefriedigenden verteidigt werden, das uns von allen Seiten umgibt. Aber vielleicht ist der Weg des Paulus eine der Möglichkeiten, diesen Angriff zu überstehen und sein Leben unter die Zuversicht zu stellen, mit welcher der Brief schließt.
Es heißt in den letzten Zeilen, in der Übersetzung von Baumert (13,11):
Schließlich, Brüder, freut euch; laßt euch zurechtrücken, laßt euch ermahnen; richtet euren Sinn auf die Einheit, lebt in Frieden, und der Gott der Liebe und des Friedens wird mit euch sein.
Der Jude Paulus denkt beim Wort Frieden sicherlich an das hebräische Schalom. Es bedeutet (wie das arabische Salam auch) Wohlstand und Frieden, fast schon so etwas wie Glück. Vielleicht steckt darin ja auch der Wunsch, daß unser Leben, um es mit Peter Oberschelps Worten zu sagen, normal wird und befriedigend und hinreichend.
Dienstag, 18. August 2009
Tränenbrief
2. Korinther 10 – 13
Die Apologie hat nichts genützt, es kommt zu einem spontanen Besuch des Apostels in Korinth. Der bringt ebenfalls keinen Erfolg, die Gegner gewinnen die Oberhand. Während des Besuchs macht Paulus in den Augen dieser Gegner den Fehler, in der öffentlichen Auseinandersetzung zu leise aufzutreten, auf einige Vorwürfe offenbar sogar ganz zu schweigen, was sie als Schwäche deuten. Paulus reist ab, kündigt eine Denkpause und einen zweiten Besuch an – und macht in den Augen der Gegner einen weiteren Fehler, indem er nicht wie angekündigt wiederkommt, sondern nur schreibt.
Er schreibt unter Tränen, wie er in Kapitel 2,4 sagt, und indem er schreibt, will er die Gemeinde schonen und diejenigen Leute mit milden Worten zurückgewinnen, deren Herzen er noch auf seiner Seite vermutet. Wenn es richtig ist, daß der Freudenbrief Kapitel 1 – 2 und 7 – 8 dann als letzter geschrieben wird, dann geht also die Strategie des Paulus auf. Aber das weiß er natürlich nicht, wenn er den Tränenbrief schreibt.
Er schreibt wie ein Verliebter, der seiner Geliebten tausendmal seine Liebe mit seinem Leben bewiesen hat, aber sie jetzt in Zweifel gestellt sieht. Wer sich so wie er verteidigt, klagt sich möglicherweise an, oder mehr noch: er muß Dinge über sich selbst aussagen, die er ohne Druck nie ausgesprochen hätte, die man als Liebender einfach nicht sagt. Auf sein Amt als Apostel übertragen heißt das: er muß den Nachweis über spirituelle Qualitäten führen, von denen die Gemeinde eigentlich durch ihre eigene Anschauung etwas wissen sollte, nicht durch das Eigenlob des Apostels.
Aber er wird mit anderen verglichen, mit angeblich besseren, erfolgreicheren Aposteln. Deshalb muß er reden, und er wählt einen Kunstgriff und hält eine Narrenrede. Nehmt mich an als einen der ohne Verstand ist, damit ich mich einmal selbst loben darf, sagt er, frei übersetzt, in Kapitel 11,16. Und dann gibt er die Zurückhaltung auf und berichtet von acht Auspeitschungen, von einer Steinigung, dreimaliger Seenot und vielen anderen Gefahren mehr. Immer wieder darauf hinweisend, wie sinnlos und närrisch sein Rühmen ist, fährt er fort, über himmlische Visionen zu sprechen, die ihm zuteil wurden, und auch über das Gegenteil: körperliche Angriffe des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt.
An dieser Stelle verläßt Baumert allerlei traditionelle Erklärungen und nimmt einfach wörtlich an: der Engel Satans, der dem Paulus als ein Dorn im Fleisch beigegeben ist (Luther sagt Pfahl im Fleisch) und ihn mit Fäusten schlägt ist der Teufel selbst, und Paulus hat also keine epileptischen Anfälle oder sinnliche Versuchungen, wie andere Ausleger angenommen haben, sondern tatsächliche blaue Flecken und ausgeschlagene Zähne - von realen Angriffen des Satans.
Bei der Stelle mit den himmlischen Visionen und dem Teufel ist Baumert erneut der tief fromme Katholik, der über eine Gotteserfahrung weiß, nur wer sich persönlich darauf eingelassen hat, und in dieser Dimension lebt, weiß von innen her, was es bedeutet. Das schließt für ihn auch die Erfahrung einer Bedrohung durch finstere Mächte mit ein.
Nirgendwo sonst gibt Paulus so viel von seinem Leben preis, nirgendwo sonst wird er so sehr ein Narr um Christi willen, wie er es in 1. Korinther 4,10 bereits als eine Art Programm verkündigt hat.
P.S. Viele haben sich später auf diese Narrenrolle bezogen und sind mutig im Glauben über die ihnen gesetzten Grenzen geschritten. Mir gefällt jener neuzeitliche Narr besonders, von dem mir ein christlicher Freund erzählte, er habe ihn in Washington getroffen, auf den Stufen des Capitols. Der Narr trug zwei Werbetafeln umgeschnallt. Auf der vorderen stand: I am a fool for Christ. (Ich bin ein Narr für Christus). Mein Freund wollte schnell weitergehen, weil ihn diese Werbung eher peinlich berührte. Da las er auch die zweite Tafel auf dem Rücken des Mannes und erschrak: Whose fool are you? (Wessen Narr bist du?)
Montag, 17. August 2009
Eine Kollekte für die Juden?
Exkurs zu Kapitel 8 und 9
Unter den mancherlei Überraschungen, die in den Auslegungen von Baumert stecken, hat mich diese am meisten erstaunt: die Kollekte für die Heiligen in Jerusalem ist seiner Meinung nach nicht, wie traditionell angenommen wird, für die (christliche) Urgemeinde dort bestimmt, sondern für die (jüdische) Tempelgemeinde. Auch Baumert ist offenbar über die Entwicklung in der Neuauslegung der Paulusbriefe selbst verwundert und schildert, wie in einem Seminar eine junge Frau namens Maria-Irma Seewann „zum Erstaunen aller“ aufsteht und ihre These vorträgt, die Empfänger der in verschiedenen Briefen und in der Apostelgeschichte Sammlung seien die Jerusalemer Juden ganz allgemein gewesen, nicht die Judenchristen.
Liest man die Beweisführung, dann kommt man kaum umhin, ihr Schritt für Schritt zu folgen. Man fragt sich nur, warum die Theorie von Frau Seewann nicht schon länger in der Welt ist.
Hier einige von ihren Argumenten. Im Galaterbrief wird die Aufgabenteilung zwischen den Heidenmissionaren und den Judenmissionaren nacherzählt, das ging, sagt Paulus, ohne Probleme ab, per Handschlag und nur unter der einen Bedingung: die Heidenmissionare sollten der Armen gedenken (Galater 2,10). Dies Gedenken war zunächst offenbar eine Tradition unter den außerhalb Jerusalems lebenden Juden aber auch unter denen, die sich dem jüdischen Glauben angenähert oder sich ihm angeschlossen hatten. Man könnte sagen: es war eine Art Tempelsteuer.
Diese Abgabe – so Seewann – wurde auch unter den ersten Christen beibehalten. Es wurde damit dokumentiert, daß man aus dem Judentum hervorgegangen war und sich weiter zu ihm gehörig fühlte. Die ersten Christen waren ja täglich einmütig beieinander im Tempel (Apostelgeschichte 2,46), es war also natürlich, diesem Tempel auch weiterhin das zukommen zu lassen, was ihm gebührte.
In dieser Tradition steht weiterhin auch Paulus, wenn er nach seiner Verhaftung (während der Reise zur Überbringung der Spende) in Jerusalem im Verhör durch die Römer sagt, Nach mehreren Jahren aber bin ich gekommen, um Almosen für mein Volk zu überbringen und zu opfern. (Apostelgeschichte 24,17)
Wenn er beides – das Überbringen der Almosen (die er zuvor in Rom, Korinth, Philippi und anderswo gesammelt hat) und das Opfern als Akte versteht, die im Tempel und für den Tempel zu vollziehen waren (was beim Opfer ja auch nur im Tempel möglich war), dann macht die Theorie von Seewann auch hier Sinn.
Auch eine dritte Stelle stützt diese neue Sichtweise: im Römerbrief gesteht Paulus, daß er in Sorge ist, die Ungehorsamen in Judäa könnten ihm übel wollen und daß er sich sehr wünscht, daß sein Dienst für Jerusalem den Heiligen angenehm sei. (beides Römer 15,31) Die gängige Theorie geht von einem Konflikt mit der christlichen Gemeinde dort aus und nimmt an, die Jerusalemer Christen hätten unter Umständen nicht einmal seine für sie gesammelte Kollekte annehmen wollen.
Es ist aber kein Grund vorstellbar, warum ein innerchristlicher Dissens solche gravierenden Folgen haben könnte. Dagegen ist klar: wenn die jüdischen Autoritäten von den Gemeinden des Paulus eine Art Tempelsteuer akzeptieren, dann erkennen sie damit deren Zugehörigkeit zum Judentum an. Die Juden hatten aber gemeinsam mit den Ungehorsamen in Judäa an vielen Orten damit begonnen, gegen Paulus zu agitieren. Die Akzeptanz der Armenspende mußte deshalb als fraglich angesehen werden.
Wenn Seewann Recht hat, dann haben die Brücken zum Judentum länger Bestand gehabt, als das bislang angenommen wurde – und es wäre heute leichter, noch einmal an sie anzuknüpfen. Deshalb sage ich offen: mir gefällt diese Auslegung!
Sonntag, 16. August 2009
Reichtum der Einfachheit
2. Korinther 8,1 – 9,15
Paulus bittet in diesem Briefabschnitt um eine Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem. Der Kern seiner Worte ist aber nicht das Geld. Es ist das, was gleich zu Beginn über das Vorbild gesagt wird, das eine andere Gemeinde, möglicherweise Philippi, den Korinthern gegeben hat. Baumert übersetzt das Attribut, welches Paulus für diese Gemeinde findet, mit Einfachheit. Und Paulus wünscht nun also auch den Korinthern Einfachheit. Das ist nicht die Freigebigkeit der Elberfelder Übersetzung, die hier allzu sehr einen Zweck in der Einfachheit nahelegt, nämlich aus einfachem Herzen froh zu geben. Näher an Einfachheit ist Luther, der Einfalt an dieser Stelle wählt, wobei dieses Wort nun allerdings ja einen Bedeutungswandel durchgemacht hat, der den ursprünglichen Luther-Sinn überdeckt.
Baumert frischt mit Einfachheit diesen Sinn wieder auf. Es ist ein Charakterzug der in einem Prozeß gewonnen wird, der auch hier eine Metamorphose im Sinne des leidenden Gottesknechtes aus Jesaja ist, aus dessen Wunden Heilung entsteht. Über die Vorbild-Gemeinde wird in der Übersetzung Baumerts gesagt, es ist ihre abgrundtiefe Armut angewachsen bis zu dem Reichtum ihrer Einfachheit (8,2). Armut hat Reichtum aus sich hervorgebracht. Meine interlineare griechisch-deutsche Bibel benutzt hier statt angewachsen das Wort übergeströmt, das macht die Verwandlung von Armut in Reichtum noch bildhafter.
Welcher Art ist dieser Reichtum? Es lohnt sich, hier dem griechischen Wort für Einfachheit haplotes nachzugehen. Es wird an den sieben Stellen, an denen es im Neuen Testament vorkommt, von Luther entweder mit Einfalt (sechsmal) oder mit Lauterkeit (einmal) übersetzt – die Knechte sollen in Einfalt ihren Herren dienen (Epheser 6,5), also redlich und lauter, und die Geldgeber sollen ebenfalls in Lauterkeit und ohne Hintergedanken spenden (Römer 12,8). Auch bei Jesus findet sich das Wort haplous in der Aussage der Bergpredigt über das Auge als Licht des Leibes, das lauter und klar sein soll, nicht böse und dunkel (Matthäus 6,22).
Es ist also das Ziel eines christlichen Lebens, in diese Verwandlung hineingenommen zu werden: in ärmlichen äußeren Umständen entsteht ein innerer Reichtum an Einfachheit und Lauterkeit. Paulus schreibt, daß dies eine charis ist, ein Geschenk Gottes, eine Gnadengabe.
Man kann mit moderner Skepsis den Sinn der Kapitel 8 und 9 zu einer einfachen „Kollektenpredigt“ herunterdrehen und alles das klein machen, was der Apostel um das Geben herum und zur tieferen Begründung des Gebens sagt. Gerade ältere Christen mit einer längeren Lebenserfahrung hören gerne das materielle Interesse hinter frommen Worten heraus.
Gegen diese kommerzielle Deutung spricht aber das Umfeld des Briefes, in dem sich ja eine ungemein zarte Annäherung des Paulus an seine Gemeinde vollzieht, die zuvor im Streit mit ihm gelegen hatte, in Teilen zumindest, und die er nur mit großer Mühe zurückzugewinnen konnte. In dieser immer noch sensiblen Situation kann er mit ihnen nur über eine Kollekte reden, wenn er um den tieferen Sinn einer solchen Liebesgabe weiß. Und der ist mit dem Gewinn eines Reichtums der Einfachheit wunderbar beschrieben.
Donnerstag, 13. August 2009
Wem gehört die Welt?
Ein Exkurs in den Koran
Im Glauben der Moslems enthält der Koran die heiligen Bücher der Juden und Christen ebenfalls in sich, das Alte und das Neue Testament. An einer Stelle im Koran wird die Verbindung sogar zu einem wörtlichen Zitat, indem hier - als einzigem Vers im Koran - auf ein Wort aus dem Alten Testament Bezug genommen wird. Es wird auch gesagt, in welchem Bibelbuch es steht:
Und wahrlich, wir schrieben in den Psalmen nach der Offenbarung der Ermahnung: „Erben sollen die Erde meine gerechten Diener“. (21. Sure "Die Propheten", Vers 105 )
Dieses Wort ist aus Psalm 37,29 übernommen und bildet nicht nur eine Brücke zum Koran, sondern auch zum Neuen Testament. Dort wird Psalm 37 nämlich ebenfalls zitiert, an prominenter Stelle sogar, und fast dasselbe Wort. Es ist die dritte der berühmten acht Seligpreisungen:
Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. (Matthäus 5, 5)
Ein Unterschied ist vorhanden, verliert aber an Gewicht, wenn man bedenkt, daß im ursprünglichen Psalm 37 insgesamt fünfmal davon die Rede ist, wer das Land erben wird:
Die Bösen werden ausgerottet; die aber auf JHWH harren, werden das Land erben. (Vers 9)
Die Sanftmütigen werden das Land erben und ihre Lust haben an Fülle von Heil. (Vers 11)
Die von ihm Gesegneten werden das Land erben; und die er verflucht, werden ausgerottet. (Vers 22)
Die Gerechten werden das Land ererben und für immer darin wohnen. (Vers 29)
Harre auf JHWH und halte dich auf seinem Weg, so wird er dich erhöhen, daß du das Land erbest. (Vers 34)
Das Neue Testament und der Koran beziehen sich also auf denselben Psalm, dort aber auf Vers 29 (Koran) oder auf Vers 11 (Neues Testament). Die Aussage der beiden Sätze ist nur in Bezug auf das Erben identisch, nicht auf den Personenkreis, der erbt.
Nach meiner bisherigen Erfahrung mit dem Lesen des Korans geschieht in dem leicht verändernden Übergang vom Neuen Testament zum Koran etwas, was den Glauben der Moslems an eine einheitliche Überlieferung ein wenig einschränkt. Es ist gerade so, als ob der Koran die Pointe der neutestamentlichen Aussage zu Gunsten einer allgemeineren Lehre wieder teilweise zurücknehmen will. Diese Lehre ist im Neuen Testament dialektisch und paßt allein deshalb schon nicht in das Gedankengebäude des Korans.
Sie läßt sich in etwa so formulieren: es hat in der Geschichte des Glaubens an den Einen Gott einen Umbruch gegeben, in dem die alte Vorstellung von einem durch die richtige Gottesverehrung herbeigeführten materiellen Wohlstand aufgegeben wurde. Die Juden haben in den Jahrhunderten zwischen dem babylonischen Exil (587 – nach 538 v. Chr.) und der Geburt Jesu eine lange Phase der Fremdherrschaft durchlitten, in der sie alle alten Gedanken an eine über die Grenzen des eigenen Volkes hinausgehende Herrschaft ihres Gottes aufgeben mußten. In dieser Zeit ist die Vorstellung gewachsen, daß Gott im Gegenteil aus der Armut heraus am besten zu verehren ist, ja daß er auf geheimnisvolle Weise allen den Menschen besonders nahe ist, welche diese Armut als einen Ort annehmen, an dem Gott sich und sein Heil den Menschen zeigt.
Als Jesus zur Welt kam, war diese Kultur der Armut und damit gleichbedeutend die Kultur der Sanftmütigkeit in weiten Teilen des jüdischen Volkes verbreitet (der Papst schreibt in seinem Jesus-Buch sehr anrührend darüber). Die Menschen, die Jesus als Gottesgesandten erkannten und ihm den Weg bereiteten, waren solche armen und sanftmütigen Leute, und ihnen wandte er sich in seiner Predigt zu. Er versprach ihnen in der erwähnten dritten Seligpreisung nicht weniger als den Besitz der gesamten Erde.
Damals wie heute ist der Vorwurf naheliegend, daß er damit zu viel versprochen hat, weshalb es auch aus der Sicht des Korans sicherlich vernünftig war, die Zusage des Landbesitzes allgemeiner zu formulieren und erneut - so wie es früher einmal war - an die Gerechtigkeit des Einzelnen zu binden.
Verloren gegangen ist dabei allerdings ein Geheimnis. Es besteht in der Verwandlung von freiwillig ertragener Armut und selbstlos übernommenem Leid in eine Quelle des Heils für andere Menschen und für die ganze Welt. Wer dieses Heil hat und es weitergeben kann, der ist der wahre Besitzer der Erde, der Erbe des Landes.
Für diese Verwandlung von Leid in Heil steht das Leben des Apostels Paulus. Es ist ein Leben aus dem Alten und Neuen Testament zugleich, es steht in der Tradition des leidenden, sanftmütigen Gottesknechtes im Propheten Jesaja und in der Tradition des Gottesknechtes Jesus. Auch der Koran kennt ohne Zweifel Wege zum Heil. Aber in diesem Punkt unterscheiden sie sich von denen der Bibel.